: Kein peinliches Wehwehchen
■ Selbsthilfe: Zehn Jahre Elternkreis essgestörter Töchter und Söhne
Wenn die Tochter kiloweise Süßkram unterm Bett hortet, tun manche Eltern das als pubertäre Laune ab. Bei anderen schrillen die Alarmglocken schon, wenn Heranwachsende lustlos im Mittagessen stochern. Welches Essverhalten normal ist oder schon gestört, und wie man damit umgehen kann, wissen die wenigsten. Genau das ist das Thema im „Elternkreis essgestörter Töchter und Söhne“. Die Selbsthilfegruppe feiert heute ihr zehnjähriges Jubiläum.
Sonja Pilz (Name geändert) gehört seit zwei Jahren dazu. „Der Kreis ist ein geschützter Raum, in dem jeder offen sprechen kann“, sagt sie. „Magersucht ist keine Krankheit, mit der man plötzlich aufwacht. Es ist wichtig, sie zu verstehen.“ Oft leiden die Eltern bulimie- und magersuchtkranker Kinder genauso schlimm wie ihre Zöglinge. „Viele haben Angst, versagt zu haben,“ erklärt Liesl Busch, die den Kreis 1992 mitbegründet hat. „Sie wissen einfach nicht, wie sie ihren Kindern helfen können.“
Dass auf den Tisch hauen genauso schädlich sein kann wie verzärteln, sollen die Väter und Mütter bei den Gesprächen lernen. Zu den Treffen kommen jedes Mal 25 bis 40 Betroffene. „Nicht nur Mütter, sondern auch viele Väter“, so Margrit Hasselmann von der Suchtprävention Bremen, die mit dem Kreis zusammenarbeitet. „Und es werden immer mehr.“ Das liegt auch daran, dass Magersucht und Bulimie in der Öffentlichkeit nicht mehr als peinliche Wehwehchen abgetan werden. „Sogar Eltern erfolgreicher Manager kommen zu uns“, bestätigt Liesel Busch.
Doch längst nicht jedes Elternpaar kommt nach dem ersten Treffen wieder. „Manche glauben, dass sie ihre Kinder in Therapie schi-cken können und dann repariert wiederkriegen“, so Busch. „Aber Eltern müssen auch an sich arbeiten.“ Viele Väter und Mütter setzen sich im Elternkreis zum ersten Mal mit ihren Verhaltensweisen in der Familie auseinander. Und therapieren sich damit selbst ein bisschen. Damit sich beim Erzählen keiner schämt, dürfen Söhne und Töchter nicht dabei sein. Theresa Bäuerlein
Der Elternkreis trifft sich jeden 1. und 3. Montag im Monat in Zimmer 509 der Barmer Ersatzkasse am Domshof 22. Neulinge kommen um 19 Uhr, die übrigen um 19.30.
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