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Der Tod kam im neuen Leben

Nigerias Militärdiktatur hat Ajibola Ige verfolgt. In der Demokratie war er Justizminister. Er war Vorbild für Nachwuchspolitiker. Jetzt wurde er ermordet

aus Esa-Oke HAKEEM JIMO

Die Bürger von Esa-Oke sehen in ihrem erfolgreichsten Bürger einen Elefanten. „Der Elefant ist gefallen“, steht auf einem Transparent, das über der Einfahrt zu dem südnigerianischen Ort weht. Genauer müsste es heißen: Der Elefant wurde erlegt. Ajibola Iges Leben als erfolgreicher Politiker in Nigeria, zuletzt als Justizminister und Generalbundesanwalt, wurde am Tag vor Heiligabend mit einem Schuss ins Herz jäh beendet. Seither ist in Nigeria vieles nicht mehr wie früher.

„Die schlechteste demokratische Regierung ist immer noch besser als das beste Militärregime“, hat Ige einmal gesagt, der Mann, der unter der Militärdiktatur häufig im Gefängnis war und 71-jährig in der Demokratie ermordet wurde. Jetzt soll er hier in seiner Heimat beerdigt werden – rund drei Wochen nach dem tödlichen Schuss, abgefeuert von Auftragskillern in Iges anderem Haus in der nahen Metropole Ibadan, drei Autostunden entfernt. An der Teerstraße nach Esa-Oke steht schon ein neuer Wegweiser. Grün auf weiß, in den nigerianischen Nationalfarben, ist „Ajibola-Ige-Stadt“ auf das Holzschild gemalt. Die Menschen in Esa-Oke verehren ihren berühmten Mitbürger. In seinen Heimatort kam er in seiner Freizeit oft und gerne. Ige liebte sein Haus mit der Kapelle, vor der nun sein Grab ausgehoben worden ist. Es ist keine Protzvilla aus Marmor und Stacheldraht, sondern ein einfacher einstöckiger Bau mit Wellblechdach, daneben eine Kapelle im gleichen Stil mit der Aufschrift „Chapel Of Grace“ über der Tür. Über die Steinmauer um den weitläufigen Garten des Geländes kann man von der Straße her schauen. So lebt keiner, der sich abschotten will.

Tanzen vor der Beisetzung

Die Trauerzeremonien nach Iges Tod waren wohl die größten in Nigerias Geschichte. In nahezu allen großen Städten gab es seit knapp einer Woche ununterbrochen Gedenkveranstaltungen, Gottesdienste und Trauerzüge. Die Leiche war zunächst in Lagos und Ibadan in Sportstadien aufgebahrt. Jetzt steht nur noch ein Punkt auf dem Programm: die Beisetzung.

Seit dem Morgen säumen die Leute den Weg zu Ajibola Iges Residenz. Überall hängen Plakate. In traditioneller englischer Richterperücke ist Ige darauf zu sehen, dazu einfache Parolen wie „Adieu, Onkel Ige!“. Vor den Mauern der Residenz haben sich hunderte Schaulustige versammelt. Immer mehr kommen im Lauf des Tages, viele junge Leute direkt von gegenüber, von der Technologie-Fachhochschule des Bundesstaats Osun, die Ige in das verschlafene Provinznest, seine Heimat, geholt hat.

Von gedrückter Trauerstimmung keine Spur. Am einzigen Kreisverkehr von Esa-Oke singen und tanzen Menschen, begleitet von Trommeln. Einige sitzen zur besseren Sicht auf Bäumen, andere haben die Mauern erklommen. Mit Liedern begrüßen sie jedes Auto und jeden Bus mit neuen Teilnehmern an der Beerdigungsfeier. „Du bist nicht umsonst gestorben“, singt die Menge, oder: „Deine Mörder werden selbst durch Wasser sterben“.

Wasser spielt eine große Rolle in der Mythologie des Yoruba-Volks. Ajibola Ige galt als einer der wichtigsten Vertreter der Yoruba, einer der drei großen Ethnien Nigerias, die den Raum um Lagos beherrscht und sich unter der 1999 beendeten langen Militärherrschaft immer benachteiligt fühlte. Iges Ermordung hat ein Vakuum in der Yoruba-Politik entstehen lassen. Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo, der erste Yoruba in diesem Amt, hat eine wichtige Stütze verloren. Manche befürchten gar das Anfang vom Ende der Demokratie.

Die Yoruba-Lieder sind wie Schlachtrufe. Ein Vorsinger singt eine Zeile, die Masse fällt ein mit dem Refrain. Einige unterstreichen die darin enthaltene Parole mit der Faust. Unsicherheit über die Zukunft im neuen demokratischen Gesellschaftssystem Nigerias schwingt in der Geste mit. Mit dem Tod des Yoruba-Visionärs Ajibola Ige wissen viele seiner Volksgruppe nicht, wohin die Reise nun geht. „Ige lebt weiter!“, schreien sie und: „Ige, unser Führer!“, wenn ein prominenter Trauergast einfährt.

Mahnung des Nobelpreisträgers

Die Trauerkonvois aus Ibadan kommen an, begleitet von Polizeiautos mit heulenden Sirenen. Einzelne Soldaten in Kampfmontur stehen an der Straße, behangen mit Patronen wie für den Buschkrieg. Wichtiger sind an diesem Tag aber die Milizionäre der eigentlich verbotenen Yoruba-Miliz OPC (Oodua People’s Congess). Ihr Chef Gani Adams hat mit seinen Hundertschaften den Ort praktisch übernommen und schwört, Iges Mörder zu finden und die Yoruba-Rasse zu schützen.

Die OPC-Leute sind junge Männer. Manche tragen T-Shirts mit dem Logo ihrer Organisation: einem Kapuzenmann mit Lanze in der rechten Hand, an deren Spitze keine Klinge ist, sondern ein strahlendes Kreuz. Einige betätigen sich als Vorsänger oder als Ordner.

Immer wieder kommen Autokolonnen und halten vor Iges Residenz. Die meisten Leute steigen aus und drängen sich in die wartende Menge. Die Prominenz darf auf das Gelände fahren. Der Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka, erkennbar an seiner Haarmähne und dem Rauschbart, kommt in einer Limousine, die von der Menschenmasse förmlich belagert wird. Die Leute fordern den weltberühmten Schriftsteller auf, er solle jetzt etwas sagen. Als sie auch noch auf das Auto klettern, steigt Soyinka aus, abgeschirmt von den Ordnern des OPC. Soyinka mahnt, Konflikte innerhalb der Yorubas friedlich zu verhandeln und umzudenken.

Auch Ige war ein brillanter Redner, und deshalb wurde der Advokat auch „Cicero von Afrika“ genannt. Er verstand es, Brücken zwischen unterschiedlichsten Gruppen in der komplexen nigerianischen Gesellschaft zu schlagen: von den Straßenjungs in der Millionenstadt Lagos bis zu den islamischen Emiren in Nordnigeria. Aber jetzt in Esa-Oke sind die Yorubas nahezu unter sich. Die Prominenz aus anderen Teilen Nigerias ist bei der staatlichen Feier in Ibadan geblieben, auch Staatspräsident Olusegun Obasanjo. Aber alle Gouverneure der Region sind nach Esa-Oke gekommen, alle Führer von Iges Partei „Alliance for Democracy“ (AD). Wer in der Yoruba-Politik mitreden will, muss hier sein, an Iges Grab.

Ein mittelgroßer Mann geht durch die Trauergemeinde. Für Ishola Fapohunda war Ajibola Ige ein Vorbild. Der 33-Jährige schaut scharfen Blicks durch seine Designerbrille und sagt, dass er sich einen Rat des Ermordeten zu Herzen genommen habe: Man müsse erst in seinem Heimatort akzeptiert sein, bevor man große Politik machen könne. Deshalb will Ishola nun im Nachbarort Okemesi ins Provinzparlament gewählt werden.

In Okemesi, dem Nachbarort von Esa-Oke, fällt Ishola schon deshalb auf, weil er heller ist als die meisten Nigerianer – obwohl beide seiner Eltern auch von hier kommen. Nur wuchs Ishola viele Jahre in England auf. Vielleicht hat er ja deshalb eine hellere Haut, mutmaßen die Leute. Ishola Fapohunda, Vater von vier Kindern, entschloss sich nach seinem letzten Besuch in Nigeria, das Leben als Softwareexperte in London aufzugeben und zurückzukehren. Er will seinen Teil zur Entwicklung des Landes beitragen – wie Ajibola Ige.

Nun steht er vor dem Haus des Ermordeten und wartet wie alle anderen auf den Leichenwagen. Was Ishola an Ajibola Ige beeindruckte, ist der Gegensatz zu seinen Kollegen. Ige lebte betont einfach – in einem Land, das wie kaum ein anderes ruhm-, macht- und luxusbesessene Raffkepolitiker und egoistische Eliten hervorgebracht hat. Und er scheute auch in den langen Zeiten der Militärdiktatur kein offenes Wort.

Inzwischen ist es dunkel geworden. Die OPC-Ordner halten mit Kerzen einen Weg durch die Menge frei. Aber plötzlich fährt innerhalb des Geländes ein riesiges Auto vor die Kapelle vor. Offenbar ist der Konvoi mit dem Sarg durch ein Nebentor gekommen, fernab der Menge. Es ist kein normaler Leichenwagen, sondern ein weißer Ford-Combi, überdimensioniert und schnittig zugleich. Iges Holzsarg, der aus dem Wagen direkt an den Rand der Grabstelle getragen wird, ist dunkel, mit vielen Bronzeplatten, auf denen kleine Messingbilder aufgeschlagen sind. In der Kapelle ertönen Kirchenlieder, durch Lautsprecher nach draußen übertragen, während sich die politische Elite um die Grabstelle versammelt, um Ige die letzte Ehre zu erweisen.

Verdacht am Grab

Auf dem Vorplatz der Familienkapelle schauen die geladenen Gäste abwechselnd in die zwei Meter tiefe, weiß gekachelte Aushebung. Vielen steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Aber von stiller Trauer ist auch hier keine Spur. Sie reden munter miteinander, das Fernsehen filmt, Journalisten führen Interviews. Während der letzten Minuten, als der Sarg in die Gruft gelassen wird, sind viele Trauergäste in Gespräche vertieft.

Die Spekulationen, warum Ajibola Ige sterben musste, schlagen noch bei diesen Gesprächen hohe Wellen. Der Justizminister ist der bislang höchste Funktionär Nigerias, der Opfer politisch motivierter Gewalt wurde. Einige glauben, dass der Mord mit Iges Ablehnung des in vielen nordnigerianischen Bundesstaaten eingeführten islamischen Scharia-Rechts zusammenhängt. Bei einer Entscheidung zur Vereinbarkeit der Scharia mit Nigerias Verfassung hätte Ige eine wichtige Rolle gespielt. Auch gibt es Gerüchte, dass Ajibola Ige die mächtigen, von Nigeria aus weltweit arbeitenden Drogenkartelle gestört habe und deshalb sterben musste.

Ishola Fapohunda glaubt diesen Verschwörungstheorien nicht. Während der Beerdigung meint er, wie viele andere auch, dass es sich um eine unglückliche Fügung in einem internen Machtkonflikt in Iges Heimatbundesstaat Osun handele: „Politik und Drogengeschäfte haben mindestens zwei Gemeinsamkeiten: Sie sind selbstzerstörerisch, und ihre Mitspieler kommen selten aus ihrem Milieu heraus.“

Politiker will er trotzdem werden. Er hofft noch auf das neue, demokratische Nigeria.

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