: Ein Soldat tanzt ins Nichts
Gewagt: „Re-thinking“, eine Ausstellung in der ifa-Galerie, zeigt aktuelle Video- und Fotokunst aus Israel, die sich mit der Sehnsucht nach einem entmilitarisierten Alltag und der Suche nach einem anderen Männerbild auseinander setzt
Die Kunstakademie in Jerusalem ist eine mehrstöckige Festung aus Beton, auf einem kargen Hügel, strategisch plaziert und rundherum gesichert wie der benachbarte Militärposten. Die Aussicht führt den Studenten die Gegensätze ihres Alltags vor Augen: die moderne Skyline Westjerusalems, der umkämpfte Tempelberg in der Altstadt, Ruinen arabischer Dörfer, notdürftig geflickte Nomadenzelte.
Die sechs KünstlerInnen, die zurzeit unter dem Motto „Re-thinking“ in der Berliner Galerie des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) ausstellen, lehren oder studierten alle an der jüdischen Akademie im muslimischen Teil der Stadt. Ihr Medium, Fotografie und Video, steht mal dicht an jounalistischer Dokumentation, wie in den Arbeiten von Guy Raz, mal im Dialog mit computergenerierter Malerei bei Judith Guetta. Gemeinsam ist ihnen ein politisch motivierter Blick auf die eigene Gesellschaft.
Ein junger Soldat posiert mit nacktem Oberkörper vor einem olivgrünen Armeezelt im hellen Wüstensand. Nebem seinem schwellenden Bizeps hängt auf der Brust die metallene Kennmarke, auf dem Kopf trägt er die Kipa, Kennzeichen eines religiösen Juden. Nicht nur diese beiden Details, auch das weiche Bühnenlicht, das nur einen verschwommenen Schatten wirft, bricht die Pose. Stärker noch betont der schwule Fotograf Adi Nes die Verlorenheit seiner Protagonisten in einem Nachtbild. Auf einer Straße im dunklen Nirgendwo, beleuchtet von einem scharf begrenzten Spot, balanciert ein einzelner Soldat auf dem Mittelstreifen, die Arme weit ausgestreckt. Er wendet dem Betrachter den Rücken zu und geht tanzend ins Nichts.
Adi Nes’ Dekonstruktion des israelischen Machos steht neben Joel Kantors Video eines alten Schusters. Yosef Waxman sitzt in seiner winzigen Werkstatt, eher Kellerloch oder Versteck. Seine fahrigen Gesten, der Blick, der die Umgebung ständig wachsam abtastet, kennzeichnen ihn für seine israelischen Landsleute als Überlebenden der Schoah. Die versteckte Verletzlichkeit der Helden zu zeigen, aber auch die offensichtliche der Opfer stellt in Israel einen Tabubruch dar.
Auch die Orte und Landschaften von Guy Raz und Hally Pancer stießen in der israelischen Öffentlichkeit oft auf Ablehnung. Pancers Golanansichten in kühlem Schwarzweiß beispielsweise zeigen ein verlassenes und verwundetes, von Schützengräben durchschnittenes Stück Land. Sichtbar ist Reales, doch die Wahl ihrer Motive bezeichnet Pancer als „moralisch manipulativ“: Die Arbeiten sollten die öffentliche Meinung zugunsten der Rückgabe des Golans verändern.
Es sind keine indischen Yogis, die der Fotograf Eyal Ben-Dov vor hell ausgeleuchtetem Studiohintergrund porträtiert. Wirr gelockte Männer, archaische Amulette um den Hals, junge Frauen in weiß, kleine Kinder auf den Hüften, sie sind Besucher des „Shantipi-Stammesfestivals“. Mehrmals im Jahr ziehen sie in die Wüste, um zu feiern, Musik zu hören, zu beten. Der wilde Stilmix aus nomadischen und indischen Ritualen steht für eine tiefere Sehnsucht. „Das sind die neuen Juden“, sagt Ben-Dov. Sie orientieren sich gen Osten, suchen nach einer spirtituellen Alternative zur Orthodoxie.
Die von der israelischen Kuratorin Yael Katz Ben Shalom zusammengestellte Auswahl formuliert provozierende Positionen – die Infragestellung des zentralen, geradezu mythischen Begriffs „Land“, die Entdeckung der diskriminierten sephardischen Seite, die Sehnsucht nach einem entmilitarisierten Alltag, die Suche nach einem anderen Männerbild. Doch die pessimistische Grundstimmung dominiert.„Wir hatten einen Traum.“, sagt Yael Katz Ben Shalom und spielt damit nicht nur auf den im letzten Jahr gescheiterten Plan an, eine gemeinsame Ausstellung mit palästinensischen und israelischen Künstlern in den ifa-Galerien Bonn, Stuttgart und Berlin zu realisieren. Nun wird der palästinensische Part in Berlin erst nach dem israelischen zu sehen sein. „Inzwischen sind wir müde und erschöpft.“ Yael Katz Ben Shalom spricht für die israelische Linke, die die Idee eines gemeinsamen Staates endgültig begraben hat. „Separation“, Trennung ist die neue Losung. Hally Pancer dazu: „Was mit dieser ifa-Ausstellung passiert ist, ist eine Metapher für die aktuelle Situation in Israel. Wenn wir Künstler es nicht schaffen, ein Beispiel zu geben, das über der Tagespolitik steht, wer dann?“ ANNA STERN
„Re-thinking“ 11.01.–10.03.2002, „In weiter Ferne, so nah“, neue palästinensische Kunst, 22.03.–26.05., ifa-Galerie, Linienstraße 139/140, Mitte. Der Katalog kostet 8 €
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