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Grüne Interpretationskünste

Die SPD hat die Forderung der Grünen nach einem milliardenschweren Sofortprogramm auf dem Niedriglohnsektor abgeschmettert. Dennoch fühlen sich die Grünen als Sieger – in den Details

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Der Tag nach dem Koalitionstreffen zwischen der SPD und den Bündnisgrünen war die Stunde der Interpreten. Seine Partei habe mehr erreicht, als auf den ersten Blick erkennbar sei, meinte gestern der Haushaltsexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Oswal Metzger. Dabei verwies er im Südwestrundfunk auf die beschlossenen Änderungen bei der steuerlichen Behandlung von Alleinerziehenden mit Kindern sowie die Entbürokratisierung der 325-Euro-Jobs (bislang: 630-Mark-Jobs).

Am Montag hatte die SPD die Forderungen der Grünen bei einem Treffen der Fraktionsspitzen weitgehend zurückgewiesen. Mit einem 1,4 Milliarden Euro umfassenden Sofortprogramm wollten die Grünen rund 100.000 neue Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor schaffen. Die SPD-Spitze hatte diese Forderungen wegen der Haushaltslage zurückgewiesen. Stattdessen soll nunmehr von der Bundesregierung auf Wunsch der Sozialdemokraten das sogenannte Mainzer-Kombilohn-Modell (siehe Kasten) aufgelegt werden. Damit könnten nach Hoffnung der SPD-Spitze bis zu 30.000 Arbeitsplätze geschaffen werden.

Trotz der Niederlage von Montagabend will der kleinere Koalitionspartner das Thema weiter verfolgen. Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch meinte, die Vorschläge wolle man „auf der Agenda lassen“, auch wenn sie sich koalitionsintern damit zunächst nicht durchgesetzt hätten. Verantwortlich für die Arbeitslosigkeit seien vor allem der Strukturwandel und die Weltkonjunktur. Insofern gehe es „eigentlich nur darum, anzusetzen, wo man ansetzen kann, und das sind die Arbeitsmarktregeln“. Das hätten die Grünen „versucht“. Ihre Vorschläge für die Finanzierung seien aber für Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) „zu risikoreich“ gewesen.

Unterdessen hielt beim linken Flügel der SPD die Kritik am Kombilohnmodell an. Die vorgesehene Subvention der Billigjobs sei „hilfreich, aber nicht ausreichend“, sagte der Vorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), Ottmar Schreiner. Da es weltweit zu einem Konjunktureinbruch gekommen sei, „ist die Initiative nicht viel mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein“, erklärte er gegenüber der Freien Presse.

Bereits auf der SPD-Klaustagung am Wochenende waren die Maßnahmen der Bundesregierung von einzelnen Vertretern des Parteivorstandes als unzureichend bewertet worden. Mehrere Vertreter, darunter der Parteilinke Hermann Scheer, verlangten eine neue Inititiative für mehr Teilzeitarbeit und für weitere berufliche Qualifizierungsmaßnahmen. Auch wurden von mehreren Teilnehmern, darunter Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel, eine bessere Finanzaustattung der unter der Steuerreform leidenden Kommunen verlangt. Dagegen verteidigten Bundeskanzler und Parteichef Gerhard Schröder, Bundesfinanzminister Hans Eichel, aber auch NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement und Hamburgs SPD-Landeschef Olaf Scholz den bisherigen Konsolidierungskurs der Bundesregierung. Angesichts der Unruhe innerhalb der rot-grünen Koalition freute sich die Union. CSU-Landesgruppenschef Michael Glos interpretierte gestern das Ergebnis aus seiner Sicht: Schröder ziehe gegenüber den Grünen immer weiter die Schraube an: „Man läßt ihnen keinen Freiraum mehr, auch beim Thema Kombilohn,“ sagte Glos.

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