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Die Bohème hat die Schnauze voll

■ Bremens freie KünstlerInnen fühlen sich strukturell im Stich gelassen. Ein wesentlicher Faktor für die Auftrags-Flaute: Das Wegbrechen des Programms „Kunst im öffentlichen Raum“

Den alten Waller-Witz mag keiner mehr hören: Nur der sei ein richtiger Künstler, der schon mal die Nacht unter einer Brücke verbracht habe.

Peter-Jörg Splettstösser zum Beispiel kann über den Authentizitäts-Scherz des Kunsthochschulrektors nur müde lächeln. Der Künstler, seit 30 Jahren in der Produzentengalerie der Gruppe Grün aktiv, weiß, wie ein nicht auf Rosen gebettetes Künsterleben verläuft. „Nach dem Kunsthochschul-Abschluss ist man erstmal unheimlich optimistisch, nimmt jeden blöden Nebenjob zur Selbstfinanzierung an und arbeitet drauf los.“

Dabei hatte Splettstösser durchaus Erfolge: immer wieder mal ein Stipendium, soziale Künstlerförderung, drei gewonnen Wettbewerbe. ABM-Stellen, Lehraufträge, Förderpreis. Doch dann, nach der Aufforderung des Arbeitsamtes, die Rente zu beantragen, kam der finanzielle Offenbarungseid eines produktiven Künstlerlebens: Eine Alters„absicherung“ unterhalb der Sozialhilfe.

Ein strukturelles Problem. Jahr für Jahr verlassen Dutzende von AbolventInnen der Bremer Hochschule für Künste den geschützten Ausbildungs-Raum. In Bremen zu bleiben, ist für viele finanziell unmöglich, also geht's mit fraglichen Aussichten nach Hamburg/Berlin/Frankfurt/Köln/Düsseldorf.

Und vom Westen her locken die holländische Zustände: Da gibt es Basis-Stipendien für freie KünstlerInnen, Projektunterstützung, Materialkostenübernahme, zinsfreie Kredite, Reisezuschüsse und so weiter. Der „Fonds voor Beeldende Kunsten, Vormgeving en Bouwkunst“ (www.fondsbkvb.nl) verfügt über Mittel, von denen die Bremer nur träumen können. Rose Pfister, in der Bremer Kulturverwaltung für diesen Bereich zuständig: „Auch wir haben ausdifferenzierte Förderstrukturen, nur steckt in ihnen zu wenig Geld drin.“

Holland profitiert vom Van-Gogh-Schock („wie konnte ein derartiger Künstler nur so arm sein“), die hiesigen Künstler müssen für ihr Anliegen immer wieder Öffentlichkeit hestellen. Unterstützung kommt jetzt vom Bremer „Kulturforum der Sozialdemokratie“. In einem gemeinsamen Positionspapier mit dem Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (bbk) Bremen fordert es die „Stärkung eine regionalen Kunstmarktes“. Insbesondere die Re-Aktivierung des „Kunst im öffentlichen Raum“-Programms sei notwendig.

Rückblick: Seit 1971 wurde die Kunst im öffentlichen Raum in Bremen durch das „Kunst am Bau“-Gesetz finanziert: Mit zwei Prozent des Investitionsvolumen in öffentliche Bauten. Doch seit 1981 wird diese Regelung nicht mehr umgesetzt.

Bei einer geschätzten jährlichen Investitionsbausumme von 100 Millionen Euro hätten der Kunst im öffentlichen Raum in den vergangen 20 Jahren also circa 40 Millionen Euro zur Verfügung gestanden. Real ausgegeben seien in den vergangenen Jahren aber nur rund 3,5 Millionen Euro, schätzt der bbk. In anderen Bundesländern – und von der Bundesregierung – werde diese Regelung konsequent befolgt, sagt bbk-Geschäftsführer Uwe Martin. Besonders ärgerlich: Wendet das Land selbst „Kunst am Bau“-Gelder auf, kann es dafür auch Bundes- und EU-Zuschüsse beantragen.

Weitere Kritik: Seit Jahren ist der Ankaufsetat der Graphothek eingefroren, mit dem Bremen früher auch soziale Akzente setzte. Erst jüngst ging die Graphothek in die Obhut der Stadtbibliothek über, was in der Kunstszene zusätzlich für Irritation sorgte (die taz berichtete).

Immerhin: Ein wesentlicher struktureller Schritt zur Unterstützung der freien Szene ist schon gemacht worden – die Umwidmung der Wettmittel. Während früher dieser Topf, der rund 1,5 Millionen Euro jährlich ausspuckt, zur Hälfte zum Ausgleich von Tarifsteigerungen in großen Kultureinrichtungen verwendet wurde, kommt er heute weitestgehend der freien Szene zu Gute. Dieser Prozess werde weiter verstetigt, verspricht die SPD-Kulturpolitikerin Carmen Emigholz.

Sie und die anderen AutorInen des Positionspapiers argumentieren durchaus nicht rückwärts gewandt. Sei wollen keine neuen Flächen für Wandbilder aquirieren oder die schon vorhandenen 85 übermalen. Kunst im öffentlichen Raum könne heutzutage auch mit temporären Installationen neue Akzente setzen – verzichtbar sei sie aber in keinem Fall. Auch der jüngste Kulturentwicklungsplan für Bremen stellt fest: „Wichtigster Auftragsmarkt für Künstlerinnen und Künstler ist die Kunst in öffentlichen Innen- und Außenräumen“.

Derweil bemüht sich der Bremer BBK redlich, bildende KünstlerInnen über Weiterbildungsmaßnahmen fit zu machen für Themen wie Antragstellung, Buchhaltung und Ausstellungsmanagement. Auch die Hochschule müsse in ihrer Ausbildung stärker auf das berufliche Überleben bis hin zu Versicherungsproblematiken eingehen, fordert Martin. Und: „Eine Stadt, die eine Kunsthochschule betreibt, ist auch verantwortlich für die Schaffung einer weiterführenden Infastruktur.“

Diese Initiative zielt auch in Richtung Städtische Galerie, deren Personalknappheit und eingeschränkte Öffnungszeiten von vielen als Problem wahrgenommen werden. Seit längerer Zeit bemühen sich Direktor Joachim Manske und Rose Pfister um die Einstellung eines jungen Kurators. Doch selbst die kurzfristige Aufstockung von Projektgeldern, die jetzt als Übergangslösung angedacht ist, ist noch nicht endgültig gesichert. Der Hemmschuh: die seit drei Jahren andauernde Umstrukturierung der gesamten Kulturverwaltung, deren Teil die Städtische Galerie ist.

Die besondere Bedeutung der Institution im Buntentor: Sie ist – neben dem Künstlerhaus am Deich – die Drehscheibe für internationale Kontakte der Bremer KünstlerInnen. Und die sind so wichtig wie Brückenschlafen ungesund ist.

HB

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