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Großbritannien ist MKS-frei

Sechs Millionen Tiere wurden gekeult und zahllose Kleinbauern ruiniert, um 2.030 Fälle einer für Menschen ungefährlichen Viehkrankheit einzudämmen

DUBLIN taz ■ Seit gestern um Mitternacht ist Großbritannien seuchenfrei. Als letzte Grafschaft erhielt auch Northumberland im Nordosten Englands diesen Status. Dort war die Maul- und Klauenseuche (MKS) vor elf Monaten ausgebrochen und hatte sich zur schlimmsten MKS-Epidemie der Geschichte ausgeweitet. Lord Whitty, Staatssekretär im britischen Landwirtschaftsministerium, sagte: „Dass alle Grafschaften nun seuchenfrei sind, ist den Tierärzten, den Beamten, den Bauern und der breiten Öffentlichkeit zu verdanken.“

In den vergangenen Wochen sind in Northumberland mehr als 200.000 Schafe untersucht worden. In einem Tier in Bellingham fanden die Tierärzte Antikörper, was bedeutet, dass es die Krankheit zwar hatte, aber davon genesen ist. Das gibt zu Befürchtungen Anlass, dass die Seuche latent ist und jederzeit wieder ausbrechen könnte.

In diesem Fall würde die britische Regierung nicht noch einmal zu Massentötungen greifen, deutete Kabinettsministerin Margaret Beckett vorigen Monat bei einer Rede auf einer Konferenz in Brüssel an. „Wir müssen neu überlegen, wie wir mit dem Ausbruch einer solchen Seuche umgehen“, sagte sie.

Insgesamt wurden zur MKS-Bekämpfung in Großbritannien mehr als 6 Millionen Tiere auf rund 9.000 Bauernhöfen getötet, obwohl sich letztendlich nur 2030 Fälle als positiv erwiesen. Die übrigen Tiere wurden als Vorsichtsmaßnahme getötet – oder aus „Fürsorge“, so der offizielle Jargon, weil sie wegen des Transportverbots auf abgegrasten Weiden verhungert wären.

Beckett fragte nun auf der Konferenz: „Können Impfungen in Zukunft eine größere Rolle spielen?“ Zahlreiche Bauern hatten von Anfang an ein breites Impfprogramm gefordert, doch ihr Verband, der von Großbauern dominiert wird, hatte das abgelehnt, weil damit der Exportmarkt für britische Lebensmittel langfristig weggebrochen wäre.

Im April 2001, als die Seuche auf ihrem Höhepunkt war, hatte sich Premierminister Tony Blair dennoch eigentlich für Impfungen entschieden. Bei einer Geheimsitzung auf Blairs Landsitz in Chequers, an der verschiedene Minister, Wissenschaftler, Tierärzte und Vertreter der Lebensmittelindustrie teilnahmen, verordnete der Premierminister ein Impfprogramm für die am stärksten betroffenen Grafschaften Cumbria und Devon. Die Regierung gab 500.000 Impfpräparate aus, Freiwillige wurden in der Verabreichung des Serums ausgebildet. In letzter Minute stoppte die Regierung das Programm. Was hatte den Meinungsumschwung ausgelöst? Die Lebensmittelindustrie – allen voran Nestlé.

Nestlé-Geschäftsführer Peter Blackburn, der auch Präsident des Verbands der britischen Lebensmittel- und Getränkeindustrie ist, warnte Blair schriftlich, dass britische Lebensmittelexporte im Wert von 8 Milliarden Pfund auf dem Spiel stünden. Länder außerhalb der EU würden nämlich Fleisch und Milchprodukte aus Großbritannien langfristig boykottieren, wenn dort MKS-Impfungen wieder eingeführt würden, die auf EU-Beschluss seit einiger Zeit verboten sind. Blackburn sorgte sich vor allem um eine Nestlé-Fabrik in Cumbria, die Milchpulver für Entwicklungsländer herstellt.

Die Allianz aus Lebensmittelindustrie und Großbauern zwang die britische Regierung schließlich zum Rückzug. Blair machte dafür nach außen seinen damaligen Landwirtschaftsminister Nick Brown verantwortlich. Brown musste nach den Wahlen im Juni seinen Hut nehmen. Offiziell gab Blair auch den Kleinbauern die Schuld an der Kehrtwendung, weil jene angeblich gegen die Impfpolitik waren. Gegen diese Verdrehung der Tatsachen konnten sich die Bauern nicht wehren. RALF SOTSCHECK

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