: Grandiose Andenlandschaft
Bei der taz-Leserreise nach Bolivien trafen die Teilnehmer auf aristokratische Snobs, arme Goldschürfer und einmalige Natur
von THOMAS PAMPUCH
In seinem knallig orangefarbenen Overall steht der Minenarbeiter Julio an der „Eingangspforte zur Hölle“. Er erzählt von fast 40 Jahren Arbeit in den Schächten des Cerro Rico, des „Reichen Bergs“ von Potosí. 4.700 Meter ist der Berg hoch und Symbol für mehr als 400 Jahre Ausbeutung.
Julio hat die großen Zeiten der Comibol erlebt, der bolivianischen Minengesellschaft, die nach der Revolution von 1952 die Minen der Zinn- und Silberbarone übernahm. Die Fronarbeit von hunderttausenden von Indianern in diesem Berg hat wesentlich zur „ursprünglichen Akkumulation des Kapitals“ in Europa beigetragen.
Mitte des 17. Jahrhunderts war Potosí eine der größten und reichsten Städte der Welt. Danach ging es mit der Stadt bergab. Heute ist sie nur noch ein trauriger Schatten vergangener Größe. Doch gerade deshalb sind der Besuch in der berühmten Minenstadt, das Gespräch mit Julio und der kleine Ausflug mit ihm in den dunklen, dreckigen Schacht nicht nur topografisch ein Höhepunkt der „taz-LeserInnenreise Bolivien“ im November vergangenen Jahres.
Geschichte und Hintergründe Boliviens waren der rote Faden, mit dem Agustín Echalar, Veranstalter und Reiseleiter, die taz-Tour zusammenknüpfte. Immer wieder organisierte Echalar Gespräche mit Einheimischen wie den Plausch mit Julio auf der zweiwöchigen Reise kreuz und quer durch Bolivien: von Santa Cruz im Tiefland über Sucre und Potosí zur Salzwüste Uyuni, nach La Paz und zum Titicacasee.
Agustín, gefürchteter Kolumnist der angesehenen Zeitung La Razón, kennt in Bolivien nicht nur Gott und die Welt, sondern – wie es sich für einen Südamerikaner gehört – auch die verschlungenen Familienbande aller wichtigen Leute. Fast jeder hier ist mit fast jedem irgendwie verwandt, zumeist schon über Generationen. So werden die Geschichtsstunden im Bus zu Plaudereien aus dem Nähkästchen dieses „schlecht geführten Familienbetriebs“, den Bolivien seit Jahrhunderten darstellt.
Dabei gibt sich der Historiker gern provokant: So entdeckt er durchaus angenehme Seiten an der Kolonialzeit und zitiert eine ältere Dame der besseren Kreise, die sich immer für den Kommunismus eingesetzt hat, „aber für einen der guten Gesellschaft“. Gleichzeitig kritisiert Agustín die Oberschicht gnadenlos, ebenso die neureichen Aufsteiger, die korrupten Politiker und Populisten aller Couleur.
In der Boomstadt Santa Cruz treffen wir Roberto Valcarcel, einen der bekanntesten Maler Boliviens, der uns die Mentalität der „Cambas“ erklärt. Verglichen mit den „Collas“, den Hochlandbewohnern, seien die Bewohner von Santa Cruz lockerer und genusssüchtiger. Davon können wir uns bei der allgemeinen Sonntagsfete am nahe gelegenen Fluss Piraí selbst überzeugen.
Wegen einer Flugplanänderung bleiben wir einen Tag in Cochabamba, was Agustín nützt, um uns die pompöse Villa des größten Minenbarons Boliviens, Simon I. Patiños, zu zeigen und eine ausführliche Bummelei durch das vergnügte Abend- und Nachtleben der schön gelegenen Stadt anzuschließen.
Sucre, 300 Meter höher auf knapp 2.800 Metern gelegen, wirkt mit seiner feinen Architektur und seinem großen Traditionsbewusstsein immer noch so, als sei es die koloniale Hauptstadt von ehedem. Um diesen Eindruck zu verstärken – und um uns die Kolonialzeit etwas schmackhafter zu machen –, hat Agustín ein gepflegtes Hotel im Kolonialstil für uns ausgesucht. Stolz wie ein Grande führt er uns durch die Museen, Gassen, Patios und Parks dieser immer etwas feierlich wirkenden Universitätsstadt, wo des Nachts fleißige Studenten im Schein der Laternen ihre Studien treiben. Manche kauen dabei Kokablätter.
Kokablätter könnten auch einige von uns brauchen, als wir uns in einer aufregenden Busfahrt durch die grandiose Andenlandschaft ins 4.100 Meter hohe Potosí schwingen. „Soroche“, die Höhenkrankheit, macht sich bemerkbar. Einen von uns erwischt es in der Silberstadt trotz Kokatee derart heftig, dass wir ihn zum Sauerstofftanken in das erschreckend ärmlich ausgestattete Krankenhaus von Potosí bringen müssen. Agustíns gute Verbindungen bewähren sich auch hier. Sein Bruder Alberto ist Pilot und bringt früh am nächsten Morgen einen Freund Agustíns, einer der besten Ärzte von La Paz, nach Potosí. Unser Höhenkranker wird umgehend in die „Deutsche Klinik“ in der Hauptstadt geflogen, wo er sich dann so schnell wieder erholt, dass er die Reise weiter mitmachen kann.
Auf den nächsten Höhepunkt nach Potosí muss er allerdings verzichten: Der Salar von Uyuni, die 12.000 Quadratmeter große Salzwüste zwischen Ost- und Westkordilleren, liegt immerhin fast 3.700 Meter hoch. Schon die Fahrt dorthin bietet ein Naturschauspiel auf höchstem Niveau. Es wird verfeinert durch Agustíns nachgerade koloniale Picknickkultur, in deren Mittelpunkt ein Picknickkorb steht, den er dem Nachfahren eines Minenbarons abgeschwatzt haben muss. So appetitlich gestaltet sich dieses gesellschaftliche Ereignis in einer herrlichen Flusslandschaft, dass sogar die Lamas, die vorbeischauen, kurzzeitig ihr angeborene Arroganz vergessen.
Die Salzwüste selbst, die wir in einer langen Fahrt durchqueren, ist eines jener Naturwunder, an die man erst glaubt, wenn man sie mit eigenen Augen gesehen hat. Wer kann sich schon hundert Kilometer brettelflaches, schneeweißes, meterdickes, gepresstes Salz vorstellen? Drum herum grandiose Berge und sogar einige Inseln in der Mitte.
Die lange Fahrt über den windigen, kahlen Altiplano zur Minenstadt Oruro und dann nach La Paz nutzt Agustín, um sich ausgiebig mit Fragen der Erziehung, der Sozialstruktur und der Indianerbewegung Boliviens zu beschäftigen. Die Bilder dazu bekommen wir in der Hauptstadt: Erst auf den riesigen Märkten, dann oben, in der fast ausschließlich indianischen Trabantenstadt El Alto und schließlich unten – fast 1.000 Meter tiefer – im Feineleuteviertel Calacoto.
Zum Abendessen in seiner Wohnung in Sopocachi – etwa auf halber Höhe zwischen oben und unten – hat Agustín ein befreundetes Paar geladen, beide Bolivianer, die in Entwicklungsprojekten arbeiten. Dazu präsentiert er uns H. C. F. Mansilla, einen Philosophen und Soziologen, der zwanzig Jahre am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität in Berlin studiert und gelehrt hat. Mit den dreien diskutieren wir den ganzen Abend die bolivianische Politik und hören uns Mansillas geschliffen böse Kritik an den lateinamerikanischen Staats- und Wirtschaftseliten an, über deren Praktiken er demnächst in Deutschland ein Buch veröffentlichen wird.
Jenseits der Berge, die La Paz umgeben, liegen auf der einen Seite tief unten die warmen Täler der Yungas, wo es alle Arten von Früchten (und dazu legal angebaute Kokasträucher) gibt. Nach drei Stunden Fahrt über eine atemberaubende Straße befinden wir uns fast 3.000 Meter unterhalb der Hauptstadt, in der Boliviens Fußballmannschaft gerade die Brasilianer mit 3:1 vom Platz fegt. Als wir am nächsten Tag wieder hinauf und weiter zum Titicacasee (3.812 Meter) fahren, wundert uns gar nichts mehr: Nicht nur die Natur Boliviens steckt voll Überraschungen.
Die nächste Tour – exklusiv für taz-LeserInnen – plant Agustín Echalar für den 20. Oktober 2002. Informationen und Anmeldungen unter lapaztours@zuper.net. Die „offizielle taz-LeserInnenreise 2002“ wird in die Regenwaldakadamie nach Brasilien führen – mit Besuchen in Rio, Ouro Preto und an der Atlantikküste. Geplant ist sie vom 26. Oktober bis 10. November 2001 (mit Verlängerungsmöglichkeit). Informationen: csoares@t-online.de Ausführlicheres zu der Reise demnächst in der taz.
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