„Plattdeutsch in New York“

■ Der Schriftsteller Heinrich Schmidt-Barrien wäre am Wochende 100 Jahre alt geworden. Der nach ihm benannte Preis geht in diesem Jahr an das Ernst-Waldau-Theater in Walle. Bericht von einem „plattdeutschen Wochenende“

Für ein kurzes Wochende schien eine versunkene Welt wieder aufzuerstehen: das plattdeutsche Bremen. Es gab zwei Anlässe. Zum einen wäre der hoch- und niederdeutsche Schriftsteller Heinrich Schmidt-Barrien (1902-1996) 100 geworden. Zum anderen verlieh der Bremer Verein Freizeit 2000 den „Heinrich Schmidt-Barrien-Preis für niederdeutsche Sprache“ an das Ernst-Waldau-Theater. In einer sozusagen „bilingualen“ Talk-Show im Saal des Waldau-Theaters gaben Freunde des Dichters, unter ihnen auch und besonders seine Witwe Katrin Schmidt-Barrien, multi-dialektal Auskunft über den Schriftsteller.

Heinrich Schmidt-Barrien ist Bremern unter 50 praktisch nicht mehr bekannt. Im kulturellen Bremens war er früher eine Institution. „Heinrich Schmidt-Barrien“, sagt der ostfriesische Singer/Songwriter Jan Cornelius, „war der Thomas Mann der niederdeutschen Literatur.“

Als Heinrich Schmidt wuchs er in dem Dorf Barrien südlich von Bremen als Sohn eines Landpfarrers auf. Zu Hause wurde Hochdeutsch gesprochen, auf der Straße lernte er Platt und fand den Stoff für seine Texte. Er lernte Kaufmann, war arbeitslos und erregte mit der niederdeutschen Erzählung „De Windmöller“ die Aufmerksamkeit des Bremer Kunstmäzen Ludwig Roselius. Der stellte ihn als Leiter der Kulturabteilung der Böttcherstraße ein.

Schmidt schrieb Theaterstücke, Prosa und Hörspiele auf deutsch und plattdeutsch und wurde freier Schriftsteller. 1954 erhielt er aus der Hand Schriftstellers Rudolf Alexander Schröder den ersten Bremer Literaturpreis. Der ging später immerhin an Leute wie Günter Grass. Später war Schmidt-Barrien maßgeblich an der Gründung des Instituts für Niederdeutsche Sprache im Schnoor beteiligt.

Schmidt-Barriens wohl feinsinnigster niederdeutscher Text ist „De Spaaßmaker“. Bezeichnenderweise spielt der Text nicht auf dem Land, sondern in „Nee York“ (New York). Die Novelle erzählt die unglückliche Liebesgeschichte und den tragischen Tod eines plattdeutschen Migranten in Manhattan. In einer historischen Toneinspielung von Radio Bremen berichtet Schmidt-Barrien, wie er auf einer New-York-Reise auf gestrandete plattdeutsche Einwanderer getroffen sei. Das akustische Dokument offenbart einmal mehr: Schmidt-Barrien hatte einen Sinn für soziales und individuelles Scheitern. „Er war ein Melancholiker, wenn auch mit leicht cholerischem Einschlag“, sagt Prof. Heinz Lemmermann von der Bremer Uni.

Einer Tradition folgend hält der letztjährige Heinrich-Schmidt-Barrien-Preisträger die Laudatio. Diese Aufgabe fiel daher an Jan Cornelius, den Konstantin Wecker unter den niederdeutschen Liedermachern, „aber ohne Kokain“, wie er selbst hinzufügt. Laudator Cornelius erinnerte in ostfriesischem Platt daran, dass das Ernst-Waldau-Theater im weitesten Sinne auch ein Ergebnis revolutionärer Aktivitäten gewesen ist. „Die Novemberrevolution hat trotz ihres Scheiterns“, so der Liedermacher, „den Arbeitern immerhin den Acht-Stunden-Tag beschert. Sie wollten in ihrer neu gewonnenen Freizeit nun unterhalten werden. Daraufhin gründete sich in Walle eine Theatergruppe. Erst spielte man auf hochdeutsch, doch stellte man schnell auf plattdeutsch um. Das war die Muttersprache der Proleten.“ 1946 bekam das niederdeutsche Theater von den Amerikanern die erste Spiellizenz in Bremen nach dem Ende der Nazizeit.

Schmidt-Barrien war selbst als Dramaturg am Waldau-Theater tätig. „Nachdem er als Zeitungskritiker durchgängig alle Aufführungen verriss, holte Ernst Waldau ihn lieber gleich als Dramaturg“, erzählt Ingrid Waldau, Tochter des Theater-Gründers am Samstag.

Hinter dem Preis stiftenden Verein Freizeit 2000 verbergen sich übrigens nur sieben ehrenamtliche Vereinsmitglieder: „Wir arbeiten ohne öffentliche Zuschüsse“, erklärt Lothar Pohlmann, Vorsitzender und im Hauptberuf Sportlehrer. Einer der Mitstreiter: Umweltschützer Gerold Janssen. So schließt sich denn der Kreis. Janssen ist gebürtiger Ostfriese, Plattdeutscher aus Passion, Schmidt-Barrien-Kenner und Waldau-Gänger. So war die Geburtstagsfeier am Wochenende ein zentrales Event für das plattdeutsche Bremen.

Thomas Gebel