: Jetzt nach Hause? Warum nur?
Im Iran leben afghanische Flüchtlinge vergleichsweise gut. Viele fühlen sich als Iraner. Ihr Vertrauen in die neuen Verhältnisse in Afghanistan ist gering
aus Maschhad BERNHARD ODEHNAL
Völlig ungeschützt liegt der kleine Grenzposten Dogharun im eiskalten Westwind, der von den Bergen des Iran hinunter in die Steppe Afghanistans weht. Auf der iranischen Seite haben sich die Zollbeamten dicke Wollschals vor den Mund gewickelt. Hinter einem grünen Gittertor stehen ihre afghanischen Kollegen mit braunen Kaschmirdecken über Kopf und Schultern. Mohammed Vahidi aber scheint Kälte und Wind nichts auszumachen. In leichten Halbschuhen, dünnem grauem Anzug und halb aufgeknöpftem Hemd steht der schmächtige Mann bei der Grenzstation und wartet geduldig, bis ihn ein Wagen mitnimmt – zurück in die iranische Stadt Maschhad.
Vahidi stammt Masar-i Scharif in Nordafghanistan. Mit seinen schmalen Augen, dem länglichen Gesicht und dem dünnen Bart ist er auf den ersten Blick als Hasara erkennbar. Wie die meisten Hasara aus Masar ist der 34-Jährige vor den Taliban in den Iran geflohen. Jetzt wäre er gern zurückgegangen, nur für kurze Zeit, um die Lage in der Heimat zu prüfen.
Vahidi hat Pech. Nach Schneefällen mit anschließendem Tauwetter ist der Weg in die nahe Stadt Herat im Schlamm versunken. Nicht einmal schwere Lastwagen können passieren. Außerdem haben ihm mehrere Landsleute an der Grenze von der Reise abgeraten: Wegelagerer und marodierende Soldaten machten die Straße unsicher. Also schlendert der Afghane langsam zurück zur Landstraße, vorbei an Tankwagen und mächtigen Sattelschleppern, deren Fahrer im Windschatten ihrer Wagen Zigaretten rauchen. Manche von ihnen warten schon seit Tagen. Mohammed Gafuri soll einen Container voller Seife über die Grenze bis in den nächsten Ort bringen, wo ein afghanischer Lastwagen die Ladung übernehmen wird. Aber selbst das kurze Stück Afghanistan ist seit drei Tagen unbefahrbar.
Rund 350 Kilometer beträgt die Strecke zwischen Maschhad und Herat, der westlichsten Stadt Afghanistans. Die 250 Kilometer auf iranischem Gebiet sind gut ausgebaut und für Personenkraftwagen in etwa drei Stunden zu bewältigen. Hinter dem Grenzposten Dogharun aber gibt es keine Straße mehr. Für 100 Kilometer afghanischer Rumpelpiste brauchen gute Autos mindestens sieben Stunden. Iranische Ingenieure haben die Pläne für den Bau einer Straße nach Herat in den Schubladen, die Regierung in Teheran würde die Kosten übernehmen. Doch die Bauarbeiten kommen nicht voran – aus politischen Gründen, meint der Vertreter des iranischen Innenministeriums in Dogharun: „Die Amerikaner wollen nicht, dass wir uns in Afghanistan einmischen.“
Nur kurz dauerte das Tauwetter zwischen Teheran und Washington. Seit zwei Wochen hagelt es wieder amerikanische Vorwürfe: Teheran nehme Mitglieder der Terrororganisation al-Qaida auf, Teheran wolle die Regierung in Kabul destabilisieren. Die Amerikaner machen klar: Afghanistan soll zwar wieder aufgebaut werden, Hilfe vom Nachbar Iran ist jedoch unerwünscht.
Der Iran hätte großes Interesse an einer ordentlichen Straßenverbindung von Dogharun nach Herat. So könnten einerseits die Konsumgüter der hoch entwickelten Industrie rund um Maschhad schnell auf die chronisch unterversorgten afghanischen Märkte gebracht werden. Andererseits wäre der Weg frei für die Rückführung afghanischer Flüchtlinge in großem Stil.
Rund 2,5 Millionen Afghanen leben im Iran. Flüchtlingslager gibt es kaum, dafür dehnen sich die Vororte der großen Städte völlig ungezügelt aus. Eine dieser neuen Siedlungen ist Gholschar, am nördlichen Stadtrand von Maschhad. Mindestens 100.000 Afghanen leben hier, viele kamen vor vier Jahren, auf der Flucht vor den Taliban. Vom Chaos afghanischer Siedlungen in Pakistan ist in Gholschar nichts zu bemerken. Jedes Haus hat Wasser- und Stromanschluss, die Straßen sind sauber, Mädchen und Buben gehen (getrennt) zur Schule, die meisten Männer verdingen sich als billige Arbeiter in der Textil- oder Bauindustrie. Die Iraner schimpfen zwar gerne über die Afghanen, die Arbeitsplätze weggenommen und eine Wirtschaftskrise verursacht hätten. „Aber seitdem bei uns Krieg herrscht“, meint Ali Tabatuli, „sind sie viel freundlicher geworden.“ Tabatuli ist 20, arbeitet im Sommer auf einer Baustelle und im Winter in einem Gemüseladen. Gemeinsam mit seinen Brüdern verdient der Hasara etwa 80.000 Rial pro Tag (etwa 10 Euro), das reicht, um die Familie zu ernähren.
Manche Afghanen brachten es im iranischen Exil zu bescheidenem Wohlstand. Mohammed Vahidi hatte ein gut gehendes Geschäfte in Masar, jetzt ist er Partner eines Handelsunternehmens in Maschhad. Eine Rückkehr schließt er aus, zumindest für die nächsten Jahre. Seine Kinder besuchen Schulen im Iran, „das könnte ich ihnen in Afghanistan nicht bieten. Es gibt dort keine Arbeit, keine Ausbildung und keine Sicherheit.“
Solange die Wege nicht sicher und die Städte voller bewaffneter Männer seien, wollen die meisten Afghanen lieber im Iran bleiben. Das Vertrauen in die Regierung von Hamid Karsai ist gering. Den einen gilt er als zu amerikafreundlich, den anderen als zu schwach. „In Afghanistan könnten wir nicht einmal offen unsere Meinung sagen“, sagt ein alter Hasara, der im Lager bei der Kleinstadt Torbat Jam vor einer Bäckerei auf Brot wartet: „Jeder Kommandant hat seine Spione.“ Torbat Jam ist ein freundliches Städtchen 50 Kilometer vor der afghanischen Grenze. Etwas außerhalb ließ die iranische Regierung vor ein paar Jahren Unterkünfte für 8.000 Afghanen bauen. „Sagen Sie nicht Flüchtlingslager“, bittet der Vertreter des Innenministeriums, „denn das sind unsere Gäste.“ Und so steht es auch auf dem Wegweiser an der Hauptstraße: „Gästestadt für ausländische Mitbürger“.
Die meisten Flüchtlinge wohnen hier in Ziegelhäusern mit Wasser und Strom. In der Schule werden am Vormittag die Buben, am Nachmittag die Mädchen unterrichtet – von iranischen Lehrern und Lehrerinnen. Es gibt eine Ladenzeile, eine Teppichwebstube und Freizeiträume mit Tischfußball und Videospielen. Gern empfängt der iranische Lagerleiter Gäste – vergangene Woche unter anderem eine Delegation des Bundestags. Illusionen über eine Rückkehr macht sich hier niemand. Schuldirektorin Moghadas möchte, dass die Kinder „sich integrieren, einen Job finden und in die Stadt ziehen“. Sie glaubt nicht, dass „ein einziger Afghane aus Torbat Jam in die alte Heimat zurückkehren wird. Die fühlen sich alle schon als Iraner.“
Irans Politiker verweisen stolz auf ihre Bemühungen um die afghanischen Flüchtlinge im Land – und fragen sich, wo die Anerkennung der Welt bleibt. Nachbar Pakistan hatte zwar die Taliban groß gezogen, erhält jetzt jedoch als Partner der Koalition gegen den Terror Millionen von Dollar an Wirtschaftshilfe. Der Iran, meint ein westlicher Diplomat in Teheran, habe sich in der Afghanistanfrage sehr konstruktiv verhalten, dafür aber nichts bekommen. Die Enttäuschung werde die Konservativen in Teheran stärken, die jede Annäherung an den Westen ablehnen.
Vertreter internationaler Hilfsorganisationen geben die Schuld an mangelnder Hilfe aus dem Westen aber auch den iranischen Behörden: Mit der Politik der Abschottung machten sie die Arbeit der Nichtregierungsorganisationen (NGOs) so schwer wie möglich. „Der Iran hat eine gute Flüchtlingspolitik, aber er verkauft sie katastrophal schlecht“, klagt ein NGO-Mitarbeiter in Teheran.
Im vergangenen Jahr begann das Innenministerium in Zusammenarbeit mit der UNO eine große Kampagne zur Registrierung der afghanischen Flüchtlinge – und zur organisierten Rückführung. Nach dem 11. September wurde alles gestoppt. Zur Zeit verlassen 200 bis 300 Afghanen pro Tag das Land über die Grenze bei Dogharun. Mindestens eben so viele kommen durch die Steppe illegal wieder zurück. Abdul Khalegh-Javadi nennt diese Leute „Saisonarbeiter“ – billige Arbeitskräfte für die iranische Industrie. Javadi sitzt in einem kleinen Ziegelhaus an der Grenze und führt Statistiken über die Ausreise afghanischer Flüchtlinge. Seit 1992 repräsentiert der Iraner das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Dogharun. Ein einsamer Job an einem äußerst unwirtlichen Ort. Viele Afghanen hat Javadi schon mehrmals kommen und gehen gesehen, niemals, sagt er, könne der kleine Grenzverkehr wirklich gestoppt werden.
Javadi bastelt jetzt an Logistik und Lagerplänen für eine der größten Rückführungsaktionen der UNO. Bis Ende des Jahres sollen 400.000 Afghanen den Iran verlassen. 90 Prozent davon über den Grenzübergang Dogharun. Der große Treck soll Anfang April beginnen. Wo heute neben dem UNHCR-Büro Stallungen und leere Zelte stehen, werden in wenigen Wochen ein medizinischen Zentrum, eine Busstation und Unterkünfte errichtet. Die Flüchtlinge sollen nach der Planung der UNO in allen Städten des Iran registriert und in Buskonvois an die Grenze gebracht werden. Hier bekommen sie eine Starthilfe von 40 Dollar pro Person, Mehl, Decken und ein kurzes Training zur Erkennung von Landminen. Dann geht die Reise weiter nach Afghanistan. Wenn das Land jedoch zu diesem Zeitpunkt noch immer von Banden, Clanchefs und Kommandanten regiert werde, so warnt Javadi, „dann stehen die Flüchtlinge bald wieder vor unserer Türe“.
Der Autor ist Auslandsredaktor der Zürcher „Weltwoche“
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