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Wenn der Fetisch ruckelt

Gedanke, komm raus, du bist umzingelt: Die Denker Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski talkten mit Gästen über die Angst. In ihrem am Sonntag vom ZDF gestarteten „Philosophischen Quartett“ sind schnelle Dispute chancenlos

Könnten die Bilder bitte endlich stillstehen, bitte. Ist doch wahr! Das langsame Einkreisen denkender Menschen mit sensibel wirken sollenden Kamerabewegungen zählt zu den übelsten Marotten des deutschen Kulturfernsehens; als am Sonntag spätnachts zum ersten Mal „Das philosophische Quartett“ im ZDF lief, haben sie es damit endgültig übertrieben. Gedanke, komm raus, du bist umzingelt – als wollten sie das Denken aus ihnen herauspressen, umkreisten die Bilder die Protagonisten Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski. Machte zudem einer der beiden Gäste Reinhold Messner oder Friedrich Schorlemmer eine ausdrucksstarke Geste mit den Händen, durfte man sicher sein, dass sich die Regie mit einer Großaufnahme draufstürzte.

Mag sein, die Herrschaften an den Reglern haben zu viel sommerliche Bachmannpreis-Übertragung auf 3sat geguckt. In Klagenfurt werden die Kameras auch so Anteil nehmend geschwenkt. Beim „Literarischen Quartett“ dagegen verbat sich Marcel Reich-Ranicki jegliche medialen Kinkerlitzchen. Wie Recht er hatte, zeigte sich vorgestern Abend. Hätten sie sich noch eine Handkamera gegönnt, wir wären glatt in einem Dogma-Film gewesen. Zumal auch das philosophische Gespräch selbst – der Fetisch, um den sich hier alles rankt – etwas Ruckelndes hatte. In puncto Themenmanagement haben Sloterdijk und Safranski also durchaus noch Optimierungsbedarf. Das war natürlich auch nicht anders zu erwarten; sie werden es in den folgenden Sendungen in den Griff kriegen, so wie wahrscheinlich die anfängliche Nervosität auch. Nur, in welche dramaturgischen Bahnen das einmal münden soll, in welche Rollenverteilung das einfluchten wird – da besteht, nun ja, weiterhin Aufklärungsbedarf.

Ablesbar an der Debütsendung ist immerhin, dass die Matadoren ein philosophisches Gespräch eher als gelassenen Talk denn als schnellen Disput interpretieren. Dialogische Schlagabtausche sind von ihrer diskursiven Verfasstheit her eh nicht drin. Rüdiger Safranski flicht in seine Fragen zum Beispiel gerne mal ein Kurzreferat über das berühmte Treffen zwischen Heidegger und Cassirer 1929 in Davos ein. Peter Sloterdijk, ein Metaphernproduzent von hohem Grad, schlägt seinerseits lange, komplexe Satzbögen. Und wenn die Kameras noch so langsam kreisen, bei diesen Gesprächspartnern haben sie allemal Zeit, während eines Satzes die ganze Sofagruppe zu umrunden.

Zwischen den beiden diskursiven Mahlsteinen werden, dessen darf man sich jetzt schon gewiss sein, viele Gäste zerrieben werden. Friedrich Schorlemmer jedenfalls konnte sich gegen Ende nur noch ins Predigen von Gemeinplätzen retten. Reinhold Messner hatte es ein wenig leichter: Zum Thema Angst, das in der ersten Sendung verhandelt wurde, vermochte er zumindest authentisches Anschauungsmaterial beizusteuern. Auch kam sein Vitalismus gut an: Er sei ein Verschwender seines Lebens, sagte er, das war doch wenigstens mal eine kernige Aussage.

Zum Schluss, immerhin, raffte sich Sloterdijk noch auf, den medialen Alarmismus zu geißeln, so wie schon damals, nach seiner Elmauer Rede. Er sprach von „Facharbeitern für falschen Alarm“, von „Schädlingen“ und „Angreifern auf die soziale Intelligenz“. Spätestens an dieser Stelle wäre nun eine kleine Debatte nicht fehl am Platze gewesen – allein da war die Sendezeit schon beinahe zu Ende, und Rüdiger Safranski hatte sowieso genug Mühe, seine eigenen nächsten Sätze vorzubereiten. Natürlich zu einem anderen Aspekt.

Ach, sei’s drum. Immerhin eins wurde klar: Peter Sloterdijk versuchte vorab, seinen philosophischen Fernsehauftritt als Wagnis und Tabubruch zu verkaufen. Hinterher muss er sich wie jeder andere Talkshowgastgeber auch an seinem (ausbaufähigen) Moderatoren messen lessen können. Und sind die Gedanken noch so rasant: Im Fernsehen obsiegt immer das Fernsehen. Irgendwie auch tröstlich.DIRK KNIPPHALS

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