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Parasit im Aufwind

Im Rahmen der Ausstellung „V!RUS“ widmete sich ein Kongress in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle dem Umgang mit Krankheitserregern – als Metaphern für soziale Segregation bis hin zur modernen Kriegführung. Der Hauptfaktor bei der Verbreitung von Epidemien ist noch immer Armut

von GISA FUNCK

Wahrscheinlich muss man Tagungen heute so aufziehen. Ein griffiges Etikett, in hellgelber Warnfarbe mit Ausrufezeichen, das quer durch die Disziplinen anwendbar ist. „V!RUS“, eigentlich ein Trendlabel der späten Achtzigerjahre, ist so ein Etikett. Entsprechend gemischt präsentierte sich die Referentenriege, die unter diesem Titel auf einem Symposium der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle auftrat: Immunologen neben Informatikern, Historiker neben Kulturwissenschaftlern, Journalisten und Künstler.

Über Viren spricht neuerdings jeder gern. Seit den Anschlägen von New York und angesichts einer aktuellen Debatte um Biowaffen steht das Thema wieder ganz oben auf der Hitliste. Schließlich gelten Viren weiterhin als die großen Unbekannten. Nicht genug, dass sie zu Mutationen neigen, weswegen es schwierig ist, verlässliche Impfstoffe gegen sie zu finden. Vor allem verkörpern sie die Figur des Parasiten in Perfektion. Ob als Nukleinsäuren, die in eine Proteinhülle gepackt sind, oder in Gestalt harmloser E-Mails: Viren passen sich bis zur Unkenntlichkeit ihrer Umgebung an, um ins Innere des Organismus zu gelangen – und ihn hinterher zu vernichten. Darin ähneln sie „Schläfern“. Kein Wunder, dass sie in Zeiten, in denen Kriege zunehmend terroristisches Gepräge annehmen, zu einer Lieblingsmetapher für das Unheimliche schlechthin avanciert sind.

Der Zürcher Historiker Philipp Sarasin etwa nutzte das Bild – frei nach Douglas Rushkoff – zur Medienkritik. „Der Virus ist nichts anderes als ein Code, der sich einschleicht und Teile des Körpers umkodiert“, so Sarasin. Der Mensch wird in dieser Lesart zum Computer, die virale Attacke zur manipulierenden Information, die das Denken infiziert. Sarasin erinnerte daran, dass frühere Fälle von Milzbrand kaum Beachtung fanden. Erst als Anthrax gezielt an Journalisten und Politiker verschickt wurde, gelangte die Gefahr ins öffentliche Bewusstsein. Analog zu den Sporen hätten die Briefe als „Erreger der Wirklichkeit“ gewirkt. Drei Sendungen genügten, um eine ganze Nation in Hysterie zu versetzen. Ein Resümee, das das grundsätzliche Dilemma metaphorischer Begriffsausweitung zeigt: Wo Briefe zu Viren werden, stellt sich die Frage, wer oder was eigentlich nicht unter diese Kategorie fällt.

Entsprechend verflüchtigte sich nicht nur der rote Faden rasch beim Kongress. Auch die Geschichte der Krankheitserreger ist gekennzeichnet von terminologischem Missbrauch. Schon der altgriechische Geschichtsschreiber Thukydides, führte der Mannheimer Medizinhistoriker Martin Dinges aus, nahm 430 v. Chr. die Pest als Anlass, um den Sittenverfall der Stadt Athen zu beklagen. Im Mittelalter wurden bevorzugt Juden für den Ausbruch von Epidemien verantwortlich gemacht – bis hin zu Auschwitz, wo Häftlinge unter so genannten Desinfektionsduschen mit Gas umgebracht wurden.

Keineswegs zufällig strotzen Texte und Bilder über Bakterien und Viren auch heute noch vor Kriegsvokabular. Zeitungscover, die Artikel über Aids oder Anthrax ankündigen, zeigen ebenso regelmäßig Kampfbomber und Granaten, wie in Berichten von „Killern“ die Rede ist. Eine Rede, die zumeist Kalkül hat. Der Internetexperte Florian Rötzer jedenfalls ist überzeugt, dass die Panik vor Viren auch außerhalb der Computerbranche bewusst geschürt wird, um Abwehr- und Sicherheitsmodelle attraktiver erscheinen zu lassen. Dank ihrer Saboteurrolle verbindet man mit Viren die Vorstellung besonderer Heimtücke. Geht doch schon der erste Fall biologischer Kriegführung auf ihr Konto. 1763 waren es nordamerikanische Siedler, die zwei Häuptlingen der Delawaren Decken und Taschentücher überreichten. Höchst makabre Gastgeschenke, denn die Wäschestücke waren zuvor mit Pockenviren infiziert worden. Mehr als die Hälfte des Indianerstamms fiel in den nachfolgenden zwei Jahrhunderten der hoch ansteckenden Krankheit zum Opfer.

Noch aber heißt die Hauptursache für Ansteckung weiterhin Armut. Die alten Infektionskrankheiten sowie Aids forderten laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation weltweit 300 Millionen Tote, hauptsächlich in der Dritten Welt. In Afghanistan stirbt inzwischen jedes dritte an Masern erkrankte Kind, weil schlicht Geld für Medikamente fehlt. Seuchen besitzen folglich einen Subtext sozialer Faktoren, die sie befördern. Der amerikanische Journalist Mark Schoofs dokumentierte das eindringlich am Beispiel der drastisch gestiegenen HIV-Rate in Südafrika. Die hohe Zahl der Infizierten korrespondiert hier mit einem radikal geänderten Lebenswandel junger Arbeiter: Weit entfernt von ihren Familien schürfen sie in Bergwerken nach Gold und kommen oft monatelang nicht nach Hause. Nach Feierabend gehen sie zu Prostituierten, die ihren Körper für 80 Cent verkaufen – den Preis einer Kanne Bier. Für diese Frauen wie für diese Männer ist Aids eine „sehr abstrakte Gefahr“, meinte Schoofs. „Eine solche Situation ruft nach mehr als Kondomautomaten in Toiletten und Hinweisschildern zu Safer Sex.“

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