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Dr. Kimbles letzter Coup

von PHILIPP MAUSSHARDT

Es fällt schwer, sich Kim Schmitz in einer thailändischen Gefängniszelle vorzustellen. Allein die Betten würden kaum sein Lebendgewicht von 150 Kilo tragen. Geschweige denn die Mithäftlinge sein permanentes Gequatsche: „I am Mister Kimble, you know, the world famous young enterpriser.“ Am vergangenen Freitag haben Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) zusammen mit ihren thailändischen Kollegen wenn nicht den Größten, so doch den Dicksten unter Deutschlands neuen Ökonomisten im Hyatt-Hotel Bangkok verhaftet und in eine Abschiebezelle verlegt. Kim Schmitz, seit gestern 28 Jahre alt, wollte eigentlich an diesem Montag noch einen ganz großen Coup landen: seinen eigenen Selbstmord.

Er hatte ihn im Internet für seinen Geburtstag angekündigt, „öffentlich und for free“. Zumindest aus diesem Geschäft ist nichts geworden. Schmitz muss sich nun an seinem Wohnort in München wegen vermuteter Insider-Geschäfte und wegen Anlagebetrugs verantworten. So endet wohl vorläufig ein Märchen, wie es die New Economy geschrieben hat. Einer, der von ganz unten kam und zum Multimillionär wurde. Schon als 16-Jähiger hatte Kim Schmitz begriffen, dass Computer zu mehr als zu Kriegsspielen taugen. Er brachte es als Hacker (Künstlername: „Dr. Kimble“) zu Ruhm in der Szene, weil er es angeblich geschafft hatte, die Zugangscodes von Nasa und Pentagon zu knacken. Was ihm anschließend tatsächlich gelang, brachte ihm dann aber auch schon Schwierigkeiten ein: Schmitz kopierte Kreditkarten von Citibank-Kunden, wühlte unerlaubt in den Computern von Mobilfunkunternehmen und wurde schließlich 1994 zu zwei Jahren Haft (auf Bewährung) wegen Betruges und Hehlerei verurteilt.

Die Verurteilung war ihm keine Warnung, sie war ihm Ansporn für immer aberwitzigere Aktionen. Im Börsenfieber der 90er-Jahre gab Schmitz den dankbaren Narren am Hof der Spekulatius-Könige. Er gründete Aktiengesellschaften in einem Tempo, wie Gärtner Primelchen pflanzen. Meist stand nicht mehr dahinter als ein schöner Name – und eben Kim Schmitz, dem keine Selbsteinschätzung zu peinlich war („In zehn Jahren gehöre ich zu den 100 reichsten Menschen der Welt“). Nach außen trat er auf, als gehöre er schon dazu: Sein mit allen Computerschikanen ausgestatteter Mercedes 500 (Kaufpreis 500.000 Mark) war zwar nur geleast, verfehlte aber nicht seinen Eindruck auf Geldanleger, die davon träumten, einmal so zu leben wie ihr Guru Schmitz.

Immerhin, ein wenig musste er von der Hacker-Materie schon verstanden haben: 1997 blamierte er den Münchner Flughafen, überwand alle Sicherheitssperren und ließ sich, bevor er fest genommen wurde, in einem Cockpit der Lufthansa ablichten. Was für ein begnadeter Blender dieser Jungunternehmer war, durfte auch der TÜV Rheinland erfahren. Für mehrere Millionen Mark kaufte sich der TÜV in die von Schmitz gegründete Firma Data Protect ein. Das gemeinsame Unternehmen ist inzwischen pleite. Aber echte Arbeit hat den Aufsteiger („Ich bin klüger als Bill Gates“) sowieso nie interessiert.

Was ihm wirklich Sorgen machte, war die Angst, man könne ihn nicht wahrnehmen. Zum Formel-1-Rennen lud er vergangenes Jahr nach Monaco ein. Anreise nicht im popeligen Flugzeug. Nein, Kim Schmitz hatte 15 Ferraris bestellt, die ihn – und wen er für seine Freunde hielt – von München ans Mittelmeer katapultierten. Dort wartetet ein Yacht (Tagesmiete 50.000 US-Dollar) auf die illustre Gesellschaft, auf der, damit auch das nicht zu kurz kam, eine ausreichende Zahl Prostituierter wartete. Für das Rennen selbst hatte King Schmitz den Balkon gleich unterhalb des Fürsten angemietet.

Seine Geltungssucht kannte keine Grenzen. Anfänglich hielt ihn die Bild-Zeitung noch für legendentauglich („ein deutsches Hightech-Märchen“), feierte ihn als „Superhirn“, der für sein Unternehmen („Wert 250 Mio. Euro“) am „liebsten auf einer Yacht in Monaco arbeitet“. Als sich die Katastrophe anbahnte, ließen ihn auch die Medien fallen, nannten ihn „Großkotz“ (Bild), „Großmaul“ (Stern) und berichteten, dass es mit dem märchenhaften Reichtum offenbar nicht weit her war.

Vergangenes Jahr läutete mehrfach der Gerichtsvollzieher bei Kim Schmitz, mal wegen einer Zahnarztrechnung , mal wegen nicht beglichener Übernachtungskosten. Darauf angesprochen reagierte er wie immer mit Prahlerei: Rechnungen bezahle er grundsätzlich nicht, „wenn die Gegenleistung nicht stimmt“. Ansonsten steige demnächst „ein Riesengeschäft mit seiner Aktiengesellschaft „Kimvestor“, eine seiner diversen „Kimpanien“.

Etwa fünf Millionen Mark kostete ihn sein extravaganter Lebensstil im Jahr, „also gar nicht so viel“, wie er angab. Um diesen Stil zu pflegen, brauchte er immer frisches Geld, das er sich auf wundersame Weise verschaffte. Zuletzt kündigte er Anfang vergangenen Jahres an, die angeschlagenen Internet-Fima Letsbuyit.com mit 40 Millionen Euro zu retten. Die Börse reagierte auf die Ankündigung wie entfesselt: Nach dieser Mitteilung stieg der Kurs der Aktie in einer Woche um 200 Prozent. Auffällig dabei: Der Boom setzte schon einen Tag vor der Mitteilung ein. Tatsächlich hatte Kim Schmitz, so wissen jetzt die Ermittler, alles nur zu seiner eigenen Geldvermehrung inszeniert. Am Ende setzte sich sein „Freundeskreis“ fast nur noch aus Rotlichtgrößen zusammen. Die feierten zwar mit ihm wilde Orgien, aber nur solange Schmitz bezahlte.

Da machte Schmitz seinen entscheidenden Fehler: Er hielt die Jungs aus dem Milieu für genau so doof wie die geldgierigen Anleger, die ihm in den vergangenen Jahren immer wieder hohe Summen zuschoben, damit er den Betrag vervielfache. 30 Prozent und mehr versprach Kim Schmitz an Rendite. Und in gewissen Kreisen ist ein Versprechen ein Versprechen.

Ein Münchner „Kaufmann“, der an der Isar mehrere Bordelle kontrolliert, gab ihm 350.000 Mark. Doch als Lude und Co. ihren Mehrwert einforderten, ließen sie sich nicht mit Worten abspeisen. Im November vergangenen Jahres spürte Kim Schmitz zum ersten Mal, auf was er sich da eingelassen hatte. An seiner Haustüre klingelten drei Russen, die zwar wenig Deutsch sprachen, aber den Grund ihres Besuches umso eindeutiger klar machten. Sie räumten Schmitz Wohnung leer und konfiszierten gleich noch seinen Mercedes 500. Schmitz machte seinen zweiten Fehler: Er ging zur Polizei. Die nahm pflichtgemäß den „Kaufmann“ und zwei seiner Freunde für eine Nacht in Haft. Doch anschließend musste Kim um mehr als nur sein nicht vorhandenes Geld fürchten. Im Dezember floh er Hals über Kopf nach Monaco und von dort nach Bangkok.

Dort plante er vergangener Woche sein letztes großes Unternehmen: den inszenierten Selbstmord. Auch wenn viele glauben, selbst der wäre wieder einmal nur eine leere Versprechung, so hat er doch immerhin auf seiner Internet-Seite (www.kimble.org) viele Gründe genannt, warum er sich von der Menschheit verabschieden wolle: weil „Verbrecher“ sein Leben bedrohten, „weil Neid und Missgunst in Deutschland keine Platz für Helden lassen“ und „weil die Dummheit deutscher Journalisten noch unendlicher ist als das Universum“.

Schön gesprochen, Dr. Kimble. Seine nächsten Ausführungen erwarten wir vor Gericht. Noch in dieser Woche, so sagen die thailändischen Behörden, kann Kim Schmitz nach Deutschland abgeschoben werden.

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