: Der Türkische Bund lobt rot-roten Senat
Die Koalitionsvereinbarung von SPD und PDS ist nach Ansicht der türkischen Einwandererorganisation ein „vorbildliches Papier“. Jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Die Ausländerbeauftragte soll mehr Rechte bekommen
Der von allen Seiten gescholtene rot-rote Senat erhielt erstmals ein dickes Lob. Nach Ansicht des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB) ist die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und PDS „ein vorbildliches Papier“. Im Vergleich zu allen anderen Koalitionsverträgen, die es in westlichen Bundesländern gegeben habe, sei das rot-rote Papier integrationspolitisch das beste, sagte gestern TBB-Geschäftsführer Kenan Kolat.
Die Sprecherin des Dachverbands, Eren Ünsal, bescheinigte der neuen Landesregierung „einen Mentalitätswechsel“. Insbesondere das deutliche Bekenntnis zu Einwanderung, Einbürgerung und Gleichstellung der Einwanderer erfülle eine seit langem vom TBB gestellte Forderung. Da 90 Prozent der Vereinbarung auch von der Ampel getragen worden sei, könne man „mit Ausnahme der CDU vielleicht“ von einem breiten Konsens in Berlin sprechen. „Jetzt ist die Umsetzung entscheidend.“
Besonders lobte der TBB das „deutliche Bekenntnis zu bildungspolitischen Maßnahmen, mit denen Kinder mit Migrationshintergrund gefördert werden sollen“. Frequenzabsenkungen in bestimmten Schulen, mehr Ganztagsgrundschulen, die Förderung der zweisprachigen Erziehung sowie die des Deutschlernens in der Kita seien richtige Maßnahmen. Darüber hinaus forderte Ünsal die Einrichtung von vier weiteren deutsch-türkischen Europaschulen, in denen zweisprachig unterrichtet wird. Bislang gibt es nur eine solche Schule, die eine lange Warteliste hat.
Kritisch bemerkte TBB-Sprecherin Ünsal, dass das Thema Islamunterricht in der Koalitionsvereinbarung fehle. Sie forderte erneut einen Versuch, in dem ein freiwilliges bekenntnisfreies Regelfach „Islamkunde und Ethik“ angeboten werde. Der Senat dürfe den Islamunterricht nicht Organisationen wie der Islamischen Föderation überlassen, „die als verfassungsfeindlich eingestuft sind“. Die Föderation bietet in zwei Grundschulen Islamunterricht an.
Die Absicht der Koalition, das Einbürgerungsverfahren zu überprüfen, sei überfällig, so Ünsal. Der TBB will allerdings die Sprachtests nicht vereinfachen, sondern abschaffen. Seitdem das neue Staatsangehörigkeitsrecht gilt, ging die Einbürgerung unter den türkischen Berlinern um 40 Prozent zurück. Die Hauptgründe: der Wegfall der doppelten Staatsbürgerschaft, die abschreckende Wirkung der Sprachtest und die Arbeitslosigkeit.
Zudem forderte der TBB, der Ausländerbeauftragten, die künftig Integrations- und Migrationsbeauftragte heißen soll, mehr Kompetenzen zu geben. „Dazu gehört ein ressortübergreifendes Mitzeichnungs- und Initiativrecht“, sagte Ünsal. In der neuen Landeskommission für Integrations- und Migrationsfragen, von der sich Rot-Rot beraten lassen will, müssten Migrantenorganisationen nicht nur mehr Informations- und Anhörungsmöglichkeiten bekommen. Ünsal: „Sie müssen entscheidungsberechtigte Mitglieder sein .“SABINE AM ORDE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen