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Haben Sie mal zwei Dollar?

Schwindende Leser, abhängige Zeichner: Der aktuelle Band „Comics neu erfinden“ von Scott McCloud gerät zur deprimierenden Lehrstunde über Vertriebssysteme und Urheberrechte in den USA. Katzenjammer nach 100 Jahren Comic. Selbst die Hoffnung aufs Internet stimmt nicht froh

Die USA sind das Vaterland und eine Supermacht des Comics. Die Hefte sind Teil der Alltagskultur und haben seit der Pop Art die Hochkultur erobert. Amerika, du hast es besser, denkt der Comicrezensent.

Alles falsch. In seinem neuen Buch „Comic neu erfinden“ flucht der amerikanische Comicautor Scott McCloud über bornierte Journalisten, das weit verbreitete Ressentiment gegenüber Comics sowie dumpfbackige, fette, ungepflegte und superheldenfixierte Händler; er bedauert das Verschwinden der Zeitungscomics, er beklagt die Hinwendung der Jugend zu Computerspielen und Fernseher, er kommentiert die puritanische Rechtsprechung: Ein Comic-händler wurde 1994 in Georgia verurteilt, weil er erotische Comics führte und damit theoretisch die Möglichkeit bestand, dass er an Kinder verkaufen könnte.

Selbst unter den Kollegen sieht McCloud nur wenige Mitstreiter, die an die künstlerischen Möglichkeiten des Comics glauben. Dann das Fanal: „Hinter ihren Entsprechungen in Japan und Europa bleiben die amerikanischen Comics weit zurück.“ Das gelte für den Publikumserfolg ebenso wie die gesellschaftliche Akzeptanz und das Niveau. Man stelle sich einen Hollywood-Regisseur vor, der einen ganzen Film darüber dreht, dass in Europa die besseren Filme gemacht würden.

Es steht schlimm um den Comic. Ausführlich kommentiert McCloud die Besonderheiten des US-amerikanischen Vertriebssystems sowie die Vorherrschaft der beiden Superheldenverlage Marvel und DC. Kein Zeichner besitzt die Rechte an seinen Figuren, und nicht einmal Freiheiten in der Gestaltung werden gewährt. Todd McFarlane gründete zusammen mit anderen Zeichnern den Verlag Image – auch weil ihm die Marvel-Verantwortlichen verboten hatten, weiterhin exzessiv Spinnweben beim Spiderman zu zeichnen. Und das, obwohl die Hefte Bestseller waren! Allerdings räumt McCloud ein, der selbst Superman-Folgen gezeichnet und seine eigene Superheldenserie „Zot“ kreiert hat, dass formale oder erzählerische Neuerungen, abgesehen von einem manieriert-auffälligen Seitenlayout, auch bei diesem Autorenverlag ausblieben.

Je weiter die Lektüre von „Comics neu erfinden“ vorangeht, desto deprimierter wird der Comicrezensent; er ist ein Auslaufmodell. Die Leserschaft wächst nicht nach, die ästhetischen Experimente der 90er finden kaum ein Publikum. Nachdem 1995 groß der 100. Geburtstag begangen wurde, scheint der Comic jetzt in Agonie zu liegen. In den USA machte der Veteran Kitchen Sink zu, in Berlin gab Jochen Enterprise auf, ein Verlag, der neben deutschen Autoren innovative europäische und amerikanische Comics vertrieb. Vielleicht ist es ja ein böses Omen, dass der am längsten laufende US- Zeitungsstrip „Katzenjammer Kids“ heißt?!

Doch dann zaubert McCloud den großen Retter hervor: das Internet. Hier könnten endlich die Vertriebswege (die restaurativen Verlage und die fetten Händler!) umgangen werden, hier fänden im Hypertext die Möglichkeiten des Comics eine adäquate Entsprechung. Na ja, McCloud ist mittlerweile Dozent für digitale Medien am M.I.T. und am Smithsonian Institute. Außerdem entstand „Inventing Comics“ vor dem Zusammenbruch des Neuen Marktes. Aber der naive Glaube an das neue allrettende Medium erstaunt doch. Nach einigen Klicks auf der aufwändigen Homepage www.scottmccloud.com findet sich die Bitte, doch mit einem oder zwei Dollar die Existenz dieser Seite zu unterstützen. Soll das die Vision von freier Autorschaft sein? Und auf einmal fühlt sich der europäische Rezensent ganz wohl in seiner Haut. MARTIN ZEYN

Scott McCloud: „Comics neu erfinden“. Carlsen 2001, 256 Seiten, 20 €

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