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Rechthaben leicht gemacht

DAS SCHLAGLOCH   von MICHAEL RUTSCHKY

In finsteren Perioden kann Schröder prägnant zur Darstellung bringen, dass sie ein Ende haben werden

Bundeskanzler Gerhard Schröder und seine Partei haben in den zurückliegenden Wochen deutlich an Vertrauen verloren. Die Forschungsgruppe Wahlen hat in ihrer Januar-Umfrage ermittelt, dass nur 22 Prozent die SPD, 37 Prozent dagegen die CDU/CSU am ehesten für fähig halten, neue Arbeitsplätze zu schaffen. … Der Vorsprung von Bundeskanzler Schröder vor dem Herausforderer Edmund Stoiber verringert sich auf fünf Prozentpunkte. „Süddeutsche Zeitung“, 19./20. Januar 2002

Mit dem Bundeskanzler hat es in unseren Kreisen eine besondere Bewandtnis. Insbesondere dann, wenn er aus der SPD stammt, der Partei also, welcher die Kritische Fraktion, auf welche verknüselte Weise immer, nahe steht.

Als Gerhard Schröder sich gegen Oskar Lafontaine als Kanzlerkandidat durchsetzte: in unseren Kreisen wusste man sofort, dass er der falsche Mann war. Noch heute kann man das hier und da vernehmen – Lafontaine hätte die Arbeitslosenzahl drastisch gesenkt –, und es schließt sich gern als Deutung an, dass halt die SPD schon viel zu weit vom Wege abgeirrt war, um an Lafontaine als rechtem Mann festzuhalten. Wie oft musste Willy Brandt als Kandidat antreten, bevor er die Wahl gewann?

Überhaupt, Willy Brandt. In unseren Kreisen – Funny van Dannen weiß ein ironisches Lied darüber zu singen – genießt er unterdessen den Glanz des Goldenen Zeitalters. Wenn überhaupt je ein Politiker existierte, der Bundeskanzler zu werden berechtigt war, dann Willy Brandt. Er ließ sich ja auch von unseren Kreisen was sagen, respektive Böll oder Frisch oder Grass, und Grass konnte es dann hinterher so darstellen, als habe er Brandt geradezu instruiert.

So war Willy Brandt eigentlich gar kein richtiger Bundeskanzler, sondern einer von uns. Dazu passt, dass er bald zurücktrat. Seltsamerweise rechnet Rücktrittsbereitschaft in unseren Kreisen zu den positiven Politikerqualifikationen; sonst „klebt er an der Macht“. Wie grölten sie, die linken Stammtische, als der rot-grünen Koalition im ersten Jahr so vieles schief ging, höhöhö, und weder Kanzler noch Vizekanzler quittierten aus Einsicht schnurstracks ihren Job. Und dann der Krieg im Kosovo. Wie kann einer da auch nur eine Minute länger Kanzler oder Vizekanzler bleiben?

Eigentlich darf niemand das Kanzleramt offen anstreben. Die bekannte Szene mit Gerhard Schröder vor dem Gitter des Bonner Etablissements – „ich will da rein!“ – machte ihn hoch verdächtig. Nicht einmal die Ironie war ihm zu schade, seine Absichten kundzutun. Eigentlich verfolgt man solche Absichten überhaupt nicht; und wer sie verfolgt, ist schon disqualifziert.

So trug es erheblich zum schlechten Ruf Helmut Schmidts bei, dass auch er immer Regierungschef werden wollte, statt sich das Amt innig antragen zu lassen, lange zu zögern und schließlich unter Vorbehalt zu akzeptieren (im Hintergrund scheint da irgendeine germanische Sage zu wirken: wie die Stammesgenossen ein Familienoberhaupt zum Herzog kiesen). Helmut Schmidt überglänzt kein Goldenes Zeitalter. Was ihn in unseren Kreisen vor Gerhard Schröder auszeichnet: Er kann keinen Spaß an seinem Amt gehabt haben während der finsteren Siebzigerjahre. Gerhard Schröder hingegen macht den Job offensichtlich gern; und in finsteren Perioden kann er prägnant zur Darstellung bringen, dass sie ein Ende haben werden. Dazu kommen noch die eleganten Anzüge (wenigstens bleiben die Zigarren aus dem Bild) – das ist alles ganz und gar unmöglich.

Sollte deshalb die Kritische Fraktion stets auf CDU-, gar einen CSU-Kanzler setzen? Ihm traut unsereins doch den skrupel- und prinzipiellen Machtwillen ohne weiteres zu, bei ihm ist er sozusagen bestens aufgehoben – und dass ihnen dann so vieles misslingt, lange Jahre hat die Kritische Fraktion deshalb Hohn und Spott über Helmut Kohl geschüttet: Kießling! Schreckenberger! Bitburg! Um ihm dann, im Abgang, Respekt zu bekunden. Und nach der Spendergeschichte dankbar zu Hohn und Spott zurückzukehren.

Dies ist ein verführerischer Gedanke, dass die Kritische Fraktion ausschließlich in der Opposition zu agieren habe. Und in manchem verzweifelten Leserbrief meldet er sich schon jetzt mit Macht: Wie wundervoll sich die Grünen nach dem Regierungswechsel im Herbst regenerieren und wie radikal sie zu ihren ursprünglichen Positionen zurückkehren werden! Die Kunst- und Literaturkritik bietet das zwingendste Parallelbeispiel: Niemand verlangte je von Reich-Ranicki, dass er den Roman schreibe, den Walser, wie Reich-Ranicki zu seinem Bedauern demonstrieren musste, wieder nicht geschrieben hatte. Warum sollten sich unsere Kreise zu den Regierungskreisen nicht stets und ständig so verhalten dürfen wie Kunst- und Literaturkritik zu ihren Gegenständen?

Die DDR war wohl dabei, zwischen Regierung und Intelligenzia ein solches Verhältnis fest zu etablieren. Mehr-minder offen durfte der kritische Dichter seine unbequeme Wahrheit sagen; nie und nimmer hätte er aber das Amt des Staatsratsvorsitzenden angestrebt, womöglich nach einem Modus allgemeiner Wahlen. Wohl lieh der Machthaber zuweilen sein Ohr dem kritischen Dichter – was ihn damals hoch erfreute und was ihn heute mit den politischen Verhältnissen so unzufrieden sein lässt –, dass Machthaber und Dichter ihre Rollen tauschen, kam höchstens, und das in interessant verschlüsselter Form, in den Werken des Dichters auf der Bühne vor.

Verleiht politischer Narzissmus den Jungen das Feuer schöner Radikalität, ist er beim alten Sack peinlich

Dies war eine späte Variante des aufgeklärten Absolutismus. Sie garantierte nicht nur dem Staatsratsvorsitzenden, sie garantierte auch dem kritischen Dichter, dass er immer Recht hatte. Unterdrückte dann der Repressionsapparat die öffentliche Diskussion über die neueste Fehlentscheidung des Staatsratsvorsitzenden, so kam der kritische Dichter glücklicherweise nie in die Lage, sein Rechthaben praktisch beweisen zu müssen.

Dies ist das schwere Problem, das eine immer währende Opposition schließlich mit sich selbst bekommt: die Rechthaberei. Unsereins kann dann jederzeit zwingend erklären, wieso alles schief läuft; seit den Achtzigern etablierten sich genug linke Stammtische, die mit nichts anderem beschäftigt sind, höhöhö. Verleiht der Narzissmus, mit dem politische Meinungen so hoch besetzt sind, dem jungen Menschen noch das Feuer schöner Radikalität, so ist der Narzissmus beim alten Sack nur noch peinlich. Er hat sein politisches Leben im folgenlosen Rechthaben vergeudet; er verklärt die politischen Meinungen seiner Jugend zu religiösen Offenbarungen, und verfolgt die, die ihre Meinungen änderten, als Ungläubige und Verräter.

Deshalb braucht die Kritische Fraktion Perioden mit einem Kanzler, bei dem sie sich immer wieder fragen muss, ob er nicht doch der ihre sei. Ich erinnere mich genau, welche Schmerzen mir Willy Brandts Misserfolge bereiteten – seine erste Amtszeit bestand praktisch aus dem Wegschmelzen der Koalition. Die Schmerzen seiner Fehlentscheidungen waren noch heftiger: der Radikalenerlass, der die verrannten K-Gruppen zu Staatsfeinden erhob. Ohne solche Enttäuschungen freilich bleibt das politische Meinen hohl und leer.

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