: „Wir lassen uns diese Emotionalisierung nicht gefallen“
Der tschechische Botschafter Jiří Gruša ist überzeugt, dass kein Prager Politiker mit Jörg Haider über Temelín verhandeln wird. Zudem sei die FPÖ ein Problem für die EU
taz: Herr Botschafter, direkt nach der Wende haben Sie die Tschechoslowakei in Bonn vertreten, nun Tschechien in Wien. Welcher Arbeitsplatz ist für Sie angenehmer?
Jiří Gruša: In Deutschland waren die Verhältnisse klarer. Nicht einmal in München war diese unterschwellige Animosität vorhanden wie hier. Auf der anderen Seite fühlt sich ein Tscheche in Wien so zu Hause, dass es fast lächerlich ist. Und diese Mischung ist ziemlich seltsam.
Jörg Haider scheint entschlossen, den Beitritt Tschechiens zu torpedieren. Räumen Sie ihm Chancen ein?
Ich unterschätze diese Leute nicht, weil sie in der post-bipolaren Welt zum Zuge gekommen sind. Aber ich bin sicher, dass Haider die EU-Erweiterung nicht verhindern wird. Wenn sich ein Land, das bereits Mitglied der Europäischen Union ist, eine Bewegung wie die FPÖ leistet, dann entsteht ein Problem für die EU, nicht für uns.
Probleme dieser Art scheinen innerhalb der EU zuzunehmen, Beispiel Italien. Macht es noch Spaß, sich um Aufnahme in einen Verein zu bemühen, der sich zunehmend postfaschistische Regierungen zulegt?
Haider steht eher für die Gefahren der Vergangenheit, Berlusconi gibt uns eine Ahnung von den Gefährdungen für die Zukunft. Die Verquickung der medialen mit der polischen Macht ist etwas ganz Neues und wirft eine Frage auf, die sich die Demokratien überall stellen müssen. Haider dagegen ist eine Retourkutsche der Geschichte, die natürlich gefährliche Dimensionen hat, aber aus meiner geschichtlich-philosophischen Perspektive leichter überwindbar scheint.
Jörg Haider legt inzwischen mit der Forderung nach Aufhebung der Beneš-Dekrete zur Vertreibung nach. Der tschechische Ministerpräsident Zeman nennt im Gegenzug drei Millionen Vertriebene die fünfte Kolonne der Nazis. Führt das nicht langsam zu einem Klima, das den Beitrittsfahrplan in Gefahr bringt?
Jeder dritte Wähler in Österreich steht der FPÖ nahe. Das ist kein lineares, sondern ein fraktales Muster, genau wie beim Porzellan. Es beginnt mit einem feinen Riss in der demokratischen Oberfläche, aber was am Ende daraus wird, ist unklar. Über den Rückschlag, den das für die Annäherung an Europa bedeutet, bin ich sehr unglücklich. Wir hatten gedacht, dass die integrative Rolle, die nun Deutschland in vorbildlicher Weise ausfüllt, Wien übernimmt.
Aus Deutschland hatten Sie wegen der Angst vor billiger Arbeitskräftekonkurrenz eher mit Schwierigkeiten gerechnet?
Ja. Über Haider und die Folgen muss sich die EU nun intern verständigen. Verzögerungen im Beitrittsfahrplan sind nicht unser Problem. Ich weiß nur, dass an uns Tschechen in der Mitte Europas kein Weg vorbeiführt. Eine EU, deren Grenzen von Herrn Haider bestimmt werden, wäre allerdings ein Problem, mit dem wir uns dann alle beschäftigen müssten – und zwar ganz anders, als wir uns jetzt denken. Auch die Ungarn, die traditionell sehr gute Beziehungen zu Österreich haben, müssten ihre Position dann überdenken. Es ergäben sich interessante neue Kombinationen in der politischen Landschaft. Wir stammen aus einer Region, in der die Demokratie keine langen Wurzeln hat. Hier gab es immer ein bisschen Korporatismus, ein bisschen Obrigkeitsdenken. Hätte man in der alten K.-und-K.-Monarchie rechtzeitig auf die Erweiterung im mentalen und politischen Sinn gesetzt, hätte man schon vor hundert Jahren eine EU haben können. Als tschechischer Botschafter, tschechischer Historiker, tschechischer Schriftsteller kann ich nur sagen: Liebe Leute, vergesst eure Geschichte nicht.
Zeman und Haider haben sich inzwischen in einen beeindruckenden Schlagabtausch hineingesteigert. Welche Rolle spielt eigentlich der österreichische Bundeskanzler dabei?
Kanzler Schüssel hat immerhin den Mut gehabt, mit Zeman in Brüssel ein Abkommen über Temelín zu schließen. Das hat ihn politisch viel gekostet, aber auch Zeman hat dabei viel riskiert. An diesem Vertrag halten wir fest, solange er von österreichischer Seite nicht gekündigt wird.
Fühlen Sie sich vom Kabinett Verheugen unterstützt?
Brüssel bietet beiden Seiten ausgewogene, vermittelnde Hilfe an, die auf das Gemeinsame setzt und nicht auf das Gemeinste.
Präsident Havel hat vorgeschlagen, den bilateralen Dialog „mit weniger Leidenschaft“ zu führen. Sehen Sie mittelfristig Chancen für einen sachlichen Dialog über Temelín?
Nach dieser unfreundlichen Geste an unsere Adresse sehe ich keinerlei Spielraum mehr für Gespräche. In Tschechien ist kein Politiker bereit, mit den Initiatoren des Volksbegehrens an einem Tisch zu sitzen. Und ich sehe auch keinen sachlichen Grund dafür. Wir haben die Auflagen erfüllt. Statistisch gesehen hat Temelín weniger Störfälle in der Anlaufphase als andere Reaktoren. Es ist ganz sicher weniger gefährlich als die Kraftwerke sowjetischer Bauart in Ungarn und anderen Kandidatenländern, über die niemand spricht. Wir lassen uns diese Ideologisierung und Emotionalisierung nicht weiter gefallen.
In Tschechien selber wollen Umweltschützer gegen Temelín klagen. Das Europaparlament hat ein Ausstiegsszenario vorgelegt, mit finanziellen Entschädigungen für die tschechische Regierung. Muss Prag Jörg Haider trotzen und deshalb um jeden Preis an Temelín festhalten?
Ich weiß nicht, wie die Sache in ein bis zwei Jahren aussieht. Wenn wir heute in Tschechien ein Referendum zu Temelín veranstalten würden, bekämen wir jedenfalls eine riesige Mehrheit dafür. Und wir wissen doch gar nicht, welche Energiepolitik die EU in zehn Jahren betreiben wird.
INTERVIEW: DANIELA WEINGÄRTNER
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