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Eine Liebe in Bayern

Milchschaumleichte Menschenkunde: Thomas Ostermeier inszeniert Marieluise Fleißers „Der starke Stamm“ an den Münchner Kammerspielen

Als er zum Schlussapplaus auf die Bühne schlackst, atmet der große Junge sichtbar auf. Was ihm da auch von der Seele gepurzelt sein mag, es wog immerhin so schwer, dass dem Regisseur vor seiner ersten Münchner Gastinszenierung die Sprache verging. Für Interviews, so hieß es, stehe Thomas Ostermeier nicht zur Verfügung. Nun aber hat ihn die bayerische Hauptstadt so warm empfangen, dass die Buhs aus Berlin erst einmal beiseite stehen. Und – das wird der in Landshut aufgewachsene Schaubühnen-Chef wohl wissen – im Staat der herzlichen Bärbeißigkeit bekommt man so eine Liebe nicht geschenkt.

Ostermeiers Inszenierung von Marieluise Fleißers „Der starke Stamm“ ist ein Erfolg; eine Liebesheirat von zweien, die früh ihren künstlerischen Durchbruch hatten und damit nicht nur Glück. Nun schenken sie sich Freiheit und ebenso viel Treue.

Fleißer schrieb über die Figuren ihres Mitte der 40er-Jahre entstandenen Stücks: „Für den Bühnengebrauch müsste man sie ein wenig verfremden, sie brauchen ein künstliches Element. Die Sprache hie und da ein wenig schrauben.“ Am weitesten geht hierin Paul Herwig als Hubert. Wenn die Gefühle ihm zu dick werden, kiekst und zwitschert seine Stimme milchschaumhaft leicht. In einer Familie von grausam selbstbezogenen Überlebenskämpfern schwimmt er mit der Frisur des Rebellen („das ist eine Aussage“) und der Geducktheit des ewigen Versagers träge gegen den Strom. Vater Bitterwolf ist dieser Sprössling peinlich, doch hat er nach dem Tod seiner Frau deren Schwester Balbina auf dem Hals (vital und gradeheraus: Hildegard Schmahl), die in sein Bett will und aller Welt an den Geldbeutel. Als das nicht klappt, ruiniert sie seinen Ruf und schickt ihm den Gerichtsvollzieher.

Dem als Heimatstück geschmähten „Starken Stamm“ hat Ostermeier ein paar Diabilder beigegeben aus der engen Fleißer-Stadt, darunter auch ein Wahlplakat der CSU: „Ingolstadt gewinnt“. Im Falle der Autorin, die dieser Enge nie entrinnen konnte, war das sicher der Fall. Die Inszenierung aber benutzt die abfotografierte Provinztristesse nur als Reminiszenz. In der nur noch leicht bayerisch gefärbten Fassung, die Fleißer in den 60er-Jahren erstellte, hört man das Idiom kunstvoll poltern. Die Dramatikerin zeigt mit feinem Sinn, dass diese Leute keine Redner sind. Das aber könnten sie überall sein, wo man nicht nach dem Buche spricht. Und irgendwann, zum Beispiel in den Siebzigern: Im braun-beige-grünen Muster- und Plastikmix eines rampennah aufgefalteten Wohnraumalbtraums (Rufus Didwiszus) dient Deep Purples sanft-explosives „Child in Time“ den Sehnsüchten als Leitmelodie, während aus dem Küchenradio Roland Kaiser und andere Weichspüler den Istzustand plärren, den manche für idyllisch halten.

Eine Unmenge von Bildern, in denen das Licht des Kammerspiel-Meisters Max Keller eine Hauptrolle spielt, begleiten für zweieinhalb Stunden diese gegenläufigen Musiken. Im Zentrum aber stehen die Menschen, die – sich selber fremd – auf ein Ende zutrudeln von Horváth’scher Unerbittlichkeit: Bitterwolfs Geld ist futsch, und die Erbschaft vom reichen Onkel kriegt ganz allein der Hubert. Den hat die Magd Annerl so schön ihre Füße baden lassen, bevor sie für den Vater Hingabe spielte. Nun ist sie vom Alten schwanger, und das auch noch umsonst? „Fußwaschung“, so hieß auch Fleißers erfolgreichstes Stück „Fegefeuer in Ingolstadt“, bevor irgendein Mann den anderen Titel wusste.

Ihre lebenslange Abhängigkeit von Männern, vom Förderer Brecht und vielen, die sie mundtot machten, wurde im eben abgelaufenen 100. Geburtsjahr der Fleißer zur Genüge benannt. Ostermeier aber benutzt das biografische Wissen nur, um die Figuren einzukreisen. Katharina Schuberts staksige Brillenträgerin Annerl erinnert sehr an die junge Marieluise, der Therese Giehse bescheinigte, sie sehe aus „wie eine Handarbeitslehrerin“.

Ihre Verführung des Sattlermeisters Bitterwolf macht Schubert zu einem genau austarierten Spiel von Angebot und Nachfrage: Fleisch gegen Zukunft. Die größten Momente aber hat sie mit Hubert: zwei große Kinder beim ernsten Spiel, die, wie die Fleißer und der Ostermeier, nur kurz zusammenkamen. Schön war’s! SABINE LEUCHT

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