piwik no script img

Union stochert im Steuernebel

Heute sollte in Berlin der Wahlkampf der Union beginnen. Stattdessen muss das Stoiber-Team erst mal die finanzpolitischen Trümmer der letzten Woche aufräumen. Was der Steuerpolitiker Stoiber vorhat, wird nun erst wieder im Sommer verraten

von CHRISTIAN FÜLLER

Der Herausforderer ist auf dem Rückzug. Vor dem ersten Treffen seines Wahlkampfteams heute im Konrad-Adenauer-Haus befindet sich Edmund Stoiber (CSU) nicht etwa im Angriff auf die rot-grüne Regierung. Der gemeinhin als Steuerexperte apostrophierte bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat der Union ist vollauf damit beschäftigt, das finanzpolitische Durcheinander seiner Truppe zu sortieren.

In einem ZDF-Interview nahm Stoiber am Mittwoch erst mal wieder Abstand davon, als Kanzler eine Ausweitung der Staatsschulden in Kauf zu nehmen. Er selbst und seine unionsinterne Konkurrentin Angela Merkel hatten zuvor vorgeschlagen, die für das Jahr 2005 geplanten Steuererleichterungen vorzuziehen – und durch eine höhere Neuverschuldung zu finanzieren. Würden die Steuern bereits zwei Jahre früher gesenkt, müsste der Staat rund 35 Milliarden Euro zur Gegenfinanzierung erwirtschaften. Nun gab Stoiber zu, dass sich Deutschland dafür bereits zu nahe an der Verschuldungsgrenze befindet, die der Maastricht-Vertrag zulässt.

Der Kandidat weigerte sich gleichzeitig, seine Steuerpläne zu präzisieren. Die Union werde, sagte er, zunächst ihre Ziele festlegen – und den Bürgern dann „vor der Wahl“ sagen, wie diese im Detail zu erreichen seien. Vorher sei ein Kassensturz notwendig. Als generelle Schwerpunkte nannte Stoiber weniger Steuern, eine Entlastung des Mittelstandes und die Förderung der neuen Länder.

Stoiber und die Union hatten mit ihren widersprüchlichen Angaben zur Steuer- und Finanzpolitik alles zwischen Hohn und Gelächter ausgelöst. Die FDP witterte im Steuerdickicht der Union sofort die Chance, ihre simple Stufensteuer wieder ins Gespräch zu bringen: die so genannte flat tax mit drei Steuersätzen von 15, 25 und 35 Prozent.

Die SPD machte den misslungenen Auftakt des Unionswahlkampfs, den Stoiber durch ein viel belächeltes Fernsehinterview in der ARD selbst auslöste, gestern sogar zu einer aktuellen Stunde im Bundestag. „Sie haben nichts gelernt aus der miserablen Bilanz, die sie uns 1998 überlassen haben“, kommentierte Joachim Poß von der SPD. Und die grüne Finanzpolitikerin Christine Scheel warf Stoiber vor, „uns in den Schuldenstaat zurückführen zu wollen“.

Neben den verwirrenden Vorschlägen der Union, zu denen auch Parteigrößen wie Merkel und der Unionsfraktionsvorsitzende Friedrich Merz beitrugen, waren eine Reihe weiterer Fragen aufgetaucht: Würde ein Kanzler Stoiber die Ökosteuer – wie versprochen – sofort abschaffen oder nur aussetzen? Wie würde er die wegbrechenden Gemeindesteuern reparieren? Wie die gebetsmühlenhaft beklagten „eklatanten Nachteile“ des wirtschaftlichen Mittelstandes beseitigen? Auf der Fährte des bayerischen Leitwolfs zerstoiberten alle finanzpolitischen Träume der Union.

Dem mächtigen CSU-Landesgruppenchef Michael Glos blieb es vorbehalten, wieder ökonomische Vernunft einkehren zu lassen. Glos erklärte kurzerhand das Vorziehen der Steuerreform für technisch nicht machbar. Der Preis der Intervention: Die lähmende K-Frage, die er für seinen Landesvater vor zwei Wochen beantworten half, liegt nach der Richtigstellung nun doppelt auf dem Tisch – als Kompetenz- und als Koordinationsfrage. Aus dem Steuer- wurde ein Steuerungschaos. Nicht nur in der Union will man nun wissen: Wer hat in der Union eigentlich das Sagen, politisch wie fachlich?

Antworten darauf versucht Stoiber heute mit der Präsentation seines Wahlkampfteams in Berlin zu geben. Dazu gehören unter anderen Angela Merkel, Wolfgang Schäuble, der Bild-Journalist Michael Spreng und ein Dutzend junger Leute – genauso bunt gemischt, wie seine Steuervorschläge.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen