: „Ich befürworte ein Moratorium“
Interview WOLFGANG LÖHR
taz: Nächste Woche wird der Bundestag entscheiden, ob der Import von embryonalen Stammzellen zulässig sein soll. Wagen Sie eine Prognose, wie die Entscheidung ausgehen wird?
Jens Reich: Das wird sicherlich sehr knapp. Da ist keine Prognose möglich.
Einige der von den Parlamentariern eingebrachten Anträge gehen über die Importfrage hinaus und wollen sogar die Produktion von embryonalen Stammzellen hierzulande erlauben.
Um eigene Stammzelllinien herstellen zu können, müsste das Embryonenschutzgesetz geändert werden. Es erlaubt die künstliche Befruchtung von Embryonen nur, wenn damit eine Schwangerschaft eingeleitet werden soll. Will man das ändern, muss auch das Gesetz geändert werden. Und das wird dieses Jahr nicht mehr geschehen. Zunächst geht es also erst einmal nur um den Import von embryonalen Stammzellen.
Soweit die Anträge bereits bekannt sind, soll der Import nur unter strengen Auflagen zulässig sein. Ein gemeinsam von der Vorsitzenden der Enquetekommission, Margot von Renesse, und vom parlamentarischen Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen formulierter Antrag sieht sogar ein Registrierungsamt für den Import vor. Müsste das nicht ebenfalls in einem Gesetz geregelt werden?
Das Minimum nächste Woche ist eine Entschließung des Bundestages, ob er Produkte, die aus Embryonen gewonnen werden, für den Import zulässt.
Am Tag nach der Abstimmung im Bundestag will die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die DFG, aber schon den Forschungsantrag des Bonner Neurologen Oliver Brüstle bewilligen, der entsprechende Zelllinien aus den USA oder Israel einführen möchte. Ein Gesetz wird es bis dahin nicht geben.
Eine vorläufige Willensentscheidung des Parlaments dürfte ausreichen. Die DFG wird kaum den Forschungsantrag fördern, wenn das Parlament nein sagt. Sie wird auch im Fall eines Ja die Auflagen einhalten.
Für strenge Auflagen, eine Stichtagsregelung zum Beispiel, hat sich auch die Mehrheit des Nationalen Ethikrats ausgesprochen.
Die Mehrheiten in solchen Gremien sind immer zufällig. Sie hängen von den Berufungen ab. Es gibt, wie in der Enquetekommission des Bundestages auch, beide Standpunkte. Die Stimmverhältnisse sind nicht ausschlaggebend, sie geben lediglich eine Tendenz wieder. Wir haben nur eine beratende Funktion. Die Entscheidung muss der Bundestag fällen.
Die Abstimmung im Nationalen Ethikrat ist zwar nicht namentlich bekannt gegeben worden, aber verraten Sie, welche Position Sie unterstützt haben?
Ich war bei der Gruppe, die ein Moratorium wollte.
Was sind Ihre Gründe dafür?
Einerseits bin ich dafür, dass Embryonen im Sinne des Embryonenschutzgesetzes von der Befruchtung der Eizelle an Menschen sind. Deshalb bin ich der Überzeugung, dass sie nicht für solche Versuche eingesetzt werden sollten. Zum anderen finde ich die Bedingungen, die an eine Zustimmung geknüpft werden, nicht konsistent.
Sie meinen die diversen Auflagen, die beim Import eingehalten werden sollen?
Der Nachweis eines hochrangigen medizinischen Ziels ist mir bei einer so weit reichenden Entscheidung zu theoretisch; ebenso dass keinerlei Forschungsalternative bestehen darf. So etwas kann man nie schlüssig nachweisen.
Schwer zu prüfen ist auch, dass Spenderinnen und Spender keinerlei Vorteil davon hatten. Man kann auch nicht solche Nebensächlichkeiten dranhängen, wie die Frage, wann eine solche Stammzelle hergestellt wurde. Ich wäre dafür, dass zunächst der Status des frühen Embryos geklärt wird und erst dann über Import von Produkten verhandelt wird. Es ist m. E. politisch zweckmäßiger, bis dahin ein Moratorium einzuhalten. Aber das ist die Entscheidung des Bundestags.
Vor wenigen Tagen auf einem deutsch-französischen Workshop über Bioethik nannten Sie die unter anderem vom Nationalen Ethikrat formulierten Importbedingungen als eine Einladung zur „notariell beglaubigten Heuchelei“.
Das war für die Diskussion überspitzt. Aber ich bezweifle wie gesagt, dass die Auflagen auch stichhaltig überprüft werden können. Wie will man nachprüfen, wenn irgendwo auf der Welt ein Ehepaar schriftlich bestätigt, es habe ursprünglich die Absicht gehabt, ein Kind zu zeugen, sei erst nachträglich davon abgekommen und stelle nunmehr den Embryo der Forschung zur Verfügung?
In den USA werden von Biotechfirmen ja auch schon bis zu 4.000 Dollar für eine Embryonenspende gezahlt.
Das ist das andere Problem. Da muss dann wieder ein Protokoll beiliegen, dass die Spender keinen Vorteil davon hatten. Auch das scheint mir nicht überprüfbar zu sein. Andererseits kann man natürlich auch fragen, warum eigentlich die Spender enteignet werden sollen, wenn die Firma einen großen Nutzen davon hat. Gut, man will verhindern, dass ein Embryohandel aufgemacht wird. Aber indem man verlangt, dass die Spender keinen Vorteil davon haben, ist ja nicht die Frage geklärt, welche Vorteile die Firmen haben, die die embryonalen Zelllinien verkaufen oder Produkte daraus herstellen und Patente anmelden. Überzeugend ist das alles nicht. Wir sind uns doch alle einig, dass menschliche Organe und Körperteile nicht handelbar sind. Das müsste doch auch auf diese Stammzellen ausgedehnt werden.
Warum sind diese grundlegenden Fragen nicht geklärt worden, bevor man sich für einen Einstieg in die Stammzellforschung aussprach? Auch der Nationale Ethikrat hat sich nicht damit beschäftigt.
Da ist viel Zeit vertrödelt worden. Die Fragen stehen ja nun schon seit längerem an. Brüstle hat seinen Forschungsantrag vor über einem Jahr gestellt. Jetzt muss eine vorläufige Regelung beschlossen werden, da die DFG den Antrag nicht noch weiter auf die lange Bank schieben kann.
Im Moment geht es nur um die potenziellen Therapiemöglichkeiten der Stammzellen. Wie wird die Diskussion aussehen, wenn konkrete Heilungschancen bestehen?
Eigentlich geht es derzeit nur um Grundlagenforschung in den ersten Stadien der menschlichen Embryogenese, was für Gene dort angeschaltet werden und welche Faktoren eine Rolle spielen. Das mit den Heilen ist eher eine Vision. Ohne die lässt sich die Verwendung von Embryonen für Forschung nicht rechtfertigen. Praktisch eine Aufforderung, möglichst blumig zu fantasieren. Ich denke auch, es ist ein wichtiger Unterschied, ob es, wie bei der Entnahme eines lebenswichtigen Organs von einem Hirntoten, dabei um die Rettung eines sonst zum Tode verurteilten Schwerkranken geht oder ob es sich, wie beim überzähligen Embryo, um die Freigabe für Grundlagenforschung handelt.
Aber spätestens wenn sich die embryonalen Stammzellen als wirksames Heilmittel erweisen sollten, wird die Frage doch erneut gestellt, ob nicht Embryonen für die Rettung eines Menschen geopfert werden dürfen.
Die embryonale Stammzellforschung soll nur eine Zwischenstation sein, um grundlegende Erkenntnisse für die Nutzung von adulten Stammzellen zu gewinnen. Selbst Brüstle argumentiert so. Er will eine Ausnahmeregelung und keine grundsätzliche Freigabe der Embryonen für die medizinische Therapie. Es lässt sich nicht vorab entscheiden, dass diese Erkenntnisse nicht auch an Säugetieren oder adulten menschlichen Zellen zu gewinnen wären. Was ich mir aber keinesfalls vorstellen kann: dass eines Tages Embryonen, auch wenn sie das Grundgesetz nicht schützt, routinemäßig in der Medizin eingesetzt würden. Das würde ja heißen, dass immer wieder Frauen Eizellen spenden müssten. Die Zukunft der Zelltherapie, wenn überhaupt, kann nur bei Abkömmlingen von somatischen Stammzellen, zum Beispiel aus dem Knochenmark, liegen.
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