Der femagogische Komplex

von HEIDE OESTREICH

Emma ist „stahlhart im Nehmen“. „Auch wenn sie mal zu Boden geht, Emma bleibt in Form.“ Kann man das Beharrungsvermögen einer 25-jährigen Zeitschrift für Feminismus besser ausdrücken? Es ist nur nicht ganz so gemeint: Eine Kochtopffirma wirbt mit diesen Sätzen für ihre neue Bratpfanne. 1979, zwei Jahre nach Gründung der Emma. Alice Schwarzer steht sofort auf den Barrikaden. Sie verklagt die Firma wegen Namensklau. Und verliert: Emma hat keinen Markenschutz. Zu unwichtig.

Ein Menetekel? Die Emma, stahlhart, aber nie für voll genommen. Ein Zeichen aber auch für etwas anderes: Emma sucht den Skandal.

1978 etwa, noch nicht ein Jahr alt, verklagt sie den Stern wegen sexistischer Titelbilder. Und diese Diskussion ist durchaus notwendig: Da leuchten von Stern-Titeln die Knackärsche, Frauenzeitschriften erklären, wie man seinem Mann am besten gefällt: „Stellen Sie sich schwach.“ Werbung für Badeschaum verkündet: „Verwöhnen Sie Ihren Herrn und Gebieter.“ Und ausgerechnet Heino erklärt: „Frauen brauchen eine starke Hand.“ Emma kürt ihn zum „Pascha des Monats“.

Die Fronten sind klar. Die ersten Ausgaben der Emma sind voll mit Briefen und Berichten aus dem beschädigten Leben: „Hilfe, ich glaube ich bin Feministin. Was soll ich tun? Ich bin nicht gebildet, nur Hausfrau. Bin seit Jahren kaputt. Total. Ich darf nichts, ich kann nichts“, schreibt eine 51-Jährige an die „Zeitschrift von Frauen für Frauen“.

Tablettensucht, Depression, Gewalt und die mühselige Entdeckung des eigenen Sex werden beschrieben: „Das Wort Orgasmus spukte in meinem Kopf herum, ich hatte ihn nie erlebt“, berichtet eine Leserin.

Emma, Katalysatorin der Emanzipation. Hier wird die Tendenzberichterstattung der „Männermedien“ konterkariert. Emma berichtet die weibliche Seite: Sie gräbt ungerechte Vergewaltigungsprozesse aus, zeigt Gewalt gegen Frauen, die Auswirkungen des Paragraf 218, Diskriminierungen aller Art, die lächerlichen Ansätze von Frauenpolitik.

Alice Schwarzers Talent zur gekonnten Inszenierung wird das Charakteristikum der Zeitschrift bleiben, bis heute. Es wird sie gleichzeitig berühmt und verhasst machen. Hätte es das eine ohne das andere gegeben?

Sie ficht immer mit der Hellebarde: Aus dem Emma-Sonderheft über den islamischen Fundamentalismus schwappt literweise Blut. Einer Debatte über den darin liegenden Rassismus verweigert sich die Redaktion.

Bei Emma wird der Mann im Handumdrehen zum Frauenmörder: Mal trifft es den Schlachter, der „das Messer zwischen die Schenkel“ einer Hirschkuh (!) „rammt“, mal den Fotografen Helmut Newton, der „zum Frauenfoltern und -schlachten“ den Stoff liefert, „aus dem die Träume – und die Taten sind“, kurz: Emma ist ein Tendenzblatt. Aber mit einer seltenen Tendenz.

Sie ist die Boulevardzeitung des Feminismus. Mit groben Thesen entfacht sie öffentlich Diskussionen, die sonst akademische Zirkel nie verlassen hätten. Sie löst Reflexe aus, die ihr und ihrem Thema das Leben nicht leichter machen – aber sie in der Debatte halten.

Der typischste Reflex kommt von der Mainstreampresse, Emma sagt „Männermedien“: Emma und ihr Umfeld werden, gelinde gesagt, psychiatrisiert: Sie sind „frustrierte Tucken“, getrieben von krankhaftem Männerhass und haben einen Zensur- und Kontrollwahn: „Emma-Kontrollmösen“ mit der „Schwanz-ab-Schwarzer“. Ein weiterer Reflex kommt von Frauen, die nette Ehemänner haben, Pornos mögen oder schon wissen, wie sie sich einen Orgasmus verschaffen. Sie haben verständlicherweise keine Lust, unter das Gesamtobjekt „unterdrückte Frau“ subsumiert zu werden. Sie werden in den „Männermedien“ dutzendweise zitiert und gegen Emma ins Feld „geschickt“, sagt Emma. Sie stehen unter Kollaborationsverdacht.

Die nächste Gruppe, deren Reflexe anspringen, sind „die Linken“. Frauen und Männer. Für sie sind die „Emmas“ weiße Mittelschichtfeministinnen, die die Kapitalismuskritik vernachlässigen und alle naslang rassistisch (gegen Muslime) oder faschistisch (gegen den Juden Helmut Newton oder mit dem Euthanansie-Befürworter Peter Singer) ausschlagen.

Dazu kommen die libertären Linken, für die „Porno ist die Theorie, Vergewaltigung die Praxis“ ein Witz ist: SadomasochistInnen und radikale ZensurgegnerInnen, die gegen das Bilderverbot in Emmas PorNo-Feldzug ankämpfen. Eine Melange dieser „Linken“ bietet die taz als linkes Spontiblatt, sie ist deshalb neben den „Männermedien“ die zweite Hauptfeindin der Emma.

Der letzte große Reflex, den Emma schließlich auslöst, ist der gegen ihre MacherInnen. Alice Schwarzer schreibt mehrere wesentliche Artikel in jeder Ausgabe und führt nahezu alle größeren Interviews. Gerne wird sie auf dem Titel abgebildet, mit dem einen oder anderen Promi. Immer wieder berichten Exmitarbeiterinnen vom autoritären Gehabe Schwarzers und der Kaderförmigkeit der Emma. Schließlich lamentieren noch die Reste der Frauenbewegung, dass Schwarzer und Emma die Bewegung okkupiert und ihre anderen Protagonistinnen ignoriert haben. Einen guten Teil dieser Reflexe hat Emma sich selbst zuzuschreiben. Ihre Femagogie produziert zu simple Bilder. Der Frauenhass der Männer ist für sie archaisch. Das führt zu einem bedingungslosen Gegenhass und der Tendenz zum ganz großen Drama.

Der Zusammenhang von Theorie und Praxis ist komplexer, als Emma meint – aber er ist da. Man wird den Verdacht nicht los, dass sich manche auch einer unbequemen Diskussion entziehen wollen, indem sie erst mal ein bisschen auf den schrecklichen Kontrollmösen herumklopfen.

Andererseits: Nichts scheint so „out“ wie unterdrückt sein. Wir sind doch nicht mehr in den Siebzigern! Heute wird das System durch Affirmation überlistet. Gesellschaftliche Zwänge machen sich nicht gut im Lebenslauf. Wir haben Alternativen. Macho-Allüren belächeln wir also, anstatt unter ihnen zu leiden. Ich habe mir den Typ ja ausgesucht und kann mich wieder trennen. Wir haben ja Alternativen. Heimlich fragt man sich: Wie viele?

Individualisierung nennt man das wohl. Man könnte aber auch von einem Reflex auf ein System mit großem Beharrungsvermögen sprechen. Wie soll man dauerhaft sein Selbstbewusstsein sichern, wenn man einen scheinbar aussichtslosen Kampf kämpft? Irgendwann will man seine Portion Anerkennung. Frauen beißen also die Zähne zusammen bei der Karriere. Jetzt wird nur noch heimlich über Sexismus geschimpft. Jetzt wird „Selbstbewusstsein für Frauen“ trainiert. Schluss mit dem Kampffeminismus.

Schluss mit Emma? Mitnichten.

Die letzte Debatte, die Alice Schwarzer entzündete, liegt gerade ein gutes halbes Jahr zurück. Das Phänomen Verona Feldbusch, von einem „Trendbüro“ bereits zum neuen Frauenleitbild erkoren, sei „eine Ohrfeige für alle Frauen“, schlägt Alice Schwarzer los. Es kommt zum Gipfeltreffen im ZDF. Feldbusch und Schwarzer reklamieren die Jugend für sich: Feldbusch hat junge Mädchen getroffen, die Schwarzer blöd finden, weil die ihnen den Spaß am Sexysein verderben will. Schwarzer hat junge Mädchen getroffen, die Feldbusch blöd finden, weil ihr Schlank-und-Schön-Image Druck ausübt. In der Debatte, die folgt, bekommt Schwarzer erstaunlicherweise gerade von den Jüngeren die stärkste Unterstützung.

Was soll uns das sagen? Die meisten Mädchen wissen wahrscheinlich genau, was eine Essstörung ist – und machen trotzdem die Brigitte-Diät. Sie kennen den Schönheitszwang aus der Emma-Analyse, aber sie wollen trotzdem gut aussehen. Emma lesen, das muss nun doch nicht sein. Das heißt nicht, dass sie Feminismus ablehnen: Das Allensbach-Institut fand unlängst heraus, dass über die Hälfte der 16- bis 29-Jährigen „spontan positiv“ auf das Wort „Feminismus“ reagiert. Aber sie würden niemals ihre Wonderbras verbrennen.

Nur eine geringe Zahl von ihnen ist für Emmas Kampffeminismus erreichbar: Aber die bleibt stabil, Emmas Auflage steht bei ungefähr 60.000 verkauften Exemplaren. Und sie gewinnt laufend junge Leserinnen dazu. Warum? Weil sie immer noch relevante Themen besetzt. Zwischen politischem Mainstream und Amica klafft nach wie vor eine Lücke.

Amica bleibt bei Tips für Schönheit und Karriere. Die Redakteurinnen des Spiegel haben es gerade mal geschafft, dass sie über „neue Mütter“ schreiben dürfen. Als Werbegeschenk verschickt das Blatt eine Herren-Fliegeruhr.

Natürlich ist es interessant, zu überlegen, ob Angela Merkel deshalb nicht CDU-Kanzlerkandidatin wurde, weil sie eine Frau ist. Die Analyse der „Männermedien“, sie hätte sich eben keine Mehrheiten organisiert, verlangt zumindest eine ergänzende Frage: Kann eine Frau sich in der CDU überhaupt Mehrheiten organisieren? Und wenn nein, warum nicht? Die Einzige, die das diskutiert, ist die Emma. Wer das nicht mehr hören mag, braucht das Blatt ja nicht lesen. Aber Achtung! Es gibt keinen Ersatz.