: Pierwoß inspiziert den Richtweg
■ Der Intendant prüft, ob die „Hair“-Spielstätte übergangsweise sein Theater aufnehmen könnte – und entwickelt weitere Ideen
Eine kleine Gruppe von ExpertInnen des Bremer Theaters hat sich gestern früh auf den Weg zum Musical-Theater am Richtweg gemacht, um zu erkunden, ob der Raum auch als Ausweich-Spielstätte akustisch geeignet ist – für Musiker und Schauspieler, die sich nicht über Mikrophon und Verstärker-Boxen verständlich machen wollen.
Auch eine Sängerin war dabei, natürlich die Ton-Experten, und der Intendant Klaus Pierwoß. Aus Kreisen der Produzenten von Jekyll&Hyde hatte es erhebliche Bedenken gegeben, ob der Raum am Richtweg etwas anderes verträgt als elektronisch verstärkte „Konserven“. Und überhaupt: Reicht der Orchestergraben für ein 60 bis 70 Personen starkes Orchester ? Wohin mit den Bühnenbildern – das Theater hat sein Programm für die nächste Spielzeit schon ziemlich fertig und spielt mehrere Stücke gleichzeitig.
Alles ist natürlich irgendwie schwierig, aber der erste Eindruck der Theater-Expedition war dennoch eher gut: Es wäre vielleicht möglich, während des großen Umbaus am Goetheplatz für eine Übergangszeit von einem Jahr hier hin auszuweichen. Details werden jetzt noch von den Ton- und Technikexperten weiter vertieft. Das größte Problem: Das Geld für den Umbau am Goetheplatz fehlt noch.
Wenn die Technik stimmt, kann sich Pierwoß an der Spielstätte am Richtweg auch anschließend eine Menge vorstellen. In einem Papier unter der Überschrift „Überlegungen zur Situation der Spielstätte des Musical Theaters“ hat er seine Gedanken auf vier Seiten ungeschminkt aufgeschrieben – und dabei abgerechnet mit der Bremer Art, die Kulturpolitik in die Hände künstlerisch inkompetenter Wirtschafts-Verwalter zu legen: „Es war ein schwerwiegender und grundlegender Irrtum, dieses Theater als Beipack in einem primär von anderen Interessen besetzen Geschäftsvorgang abzutreten“, schreibt Pierwoß.
Und: „An die Spitze dieses Hauses gehört kein Veranstaltungstechnokrat, sondern ein Theaterleiter, der mit Kopf, Herz und Bauch für die schwierige Kunst der Unterhaltung brennt. Erst wenn die Kunst stimmt, können auch die Zuschauer-Erwartungen und die Ökonomie aufgehen.“ Mit noch so „extensiven und raffinierten Marketing-Strategien“ könne „mangelhafte Substanz im Stück und der Darstellungsform“ nicht „kompensiert“ werden. Voller Verachtung ist Pierwoß für das kommerzielle Musical-Theater: „Mit synthetischer und geklonter Musical-Fertigung wollten alerte Manager und windige Betreiber die schnelle Mark machen ...“
Pierwoß streicht gleichzeitig die überregionale Anerkennung heraus, die seine Musical-Produktionen mit Helmut Baumann als Regisseur erfahren haben. „Vorstellen“, so heißt es dann, könne er sich am Richtweg „drei bis vier Produktionen in einer Saison“, wenn die künstlerische Qualität stimmt.
Lust hätte der Intendant schon, merkt man solchen Sätzen an: „Warum sollte ein weiteres Bremer Theaterwunder wie mit Cabaret nur am Goetheplatz möglich sein?“ Dazwischen, so das Konzept, „exotische Sommergastspiele wie Porgy & Bess“ und eben Gastspiele.
Aber dafür bedürfte es eines richtigen Kultur-Etats: „Ohne öffentliche Gelder wird es sicher nicht gehen.“
Klaus Wolschner
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