piwik no script img

Reiner Klassizismus

Brüchig: Christian Kathriners Wandbilder in der St.-Thomas-Kirche am Mariannenplatz

Vor zwei Jahren sorgte Bettina Reims in Berlin für Aufregung. Die Bilder der Französin setzten die Christus-Geschichte mit den Mitteln der Werbefotografie in Szene. Ein paar Monate zuvor hatten die Fotografien von Elisabeth Ohlson in der Emmaus-Kirche am Lausitzer Platz Debatten ausgelöst, weil die Schwedin biblische Szenen von Homosexuellen nachstellen ließ.

Für so viel Wirbel werden die sieben Wandbilder, die Christian Kathriner eigens für das Vestibül der St.-Thomas-Kirche am Mariannenplatz schuf, nicht sorgen. Dennoch haben die poppig bunten, rund zwei mal drei Meter großen Ink-Jet-Prints viel zu erzählen. Der heilige Hieronymus sitzt ein Buch lesend in einer steinernen Nische, zu seinen Füßen ein friedfertiger Löwe, im Hintergrund eine arabische Stadt. Erst auf den zweiten Blick nimmt man die seltsamen Verrenkungen des Tieres wahr. Er könnte ein verkrüppelter Zoo-Löwe oder einfach aus verschiedenen Löwen-Teilen zusammengestückelt sein.

Der Rundblick auf die anderen Wandbilder bestätigt letztere Annahme. Der „Triumph der Galathea“ zeigt selbige hoch zu Ross, von gut gebauten Jünglingen umringt. Was zunächst harmonisch komponiert daherkommt, wirkt bei längerer Betrachtung immer bruchstückhafter. Denn die Rümpfe und Köpfe stammen durchweg von verschiedenen Menschenbildern.

Die „Anbetung der Hirten“ gleicht einem ironischem Kommentar auf unzählige Bibel-Monumentalfilme. Und im Sammelsurium der Gestalten finden sich Männer, die wie die drei heiligen Könige aussehen, einer davon ähnelt Bin Laden. Alles unbeabsichtigt, wie Christian Kathriner versichert. Selbst von der schwulen Ausstrahlung seines Bildes „Nächtlicher Fischzug“ will der Künstler nichts wissen.

Der Schweizer montiert seine Arbeiten per Scanner und Computer. Aus zehn dicken Ordnern voller Bilder sucht er sich das Rohmaterial heraus. Körperbetonte Sinnlichkeit aus der Parfüm-Werbung überwiegt letztlich, weil gerade dort ein „reiner Klassizismus“ zelebriert wird, der Sehnsucht nach perfekter Schönheit transportieren soll.

Die perfekte Schönheit gibt es im Leben bekanntlich nicht. Vielleicht liebt der 28-Jährige deshalb die seinen Figuren innenwohnenden Brüche. „Die will ich bewusst nicht glätten“, sagt Kathriner. Und damit wirken seine sorgfältigen Patchwork-Arbeiten wie zweidimensionale Verwandte der antiken Statuen mit ihren feinen Rissen im Stein, den fehlenden und erkennbar wieder hinzugefügten Gliedmaßen.

ANDREAS HERGETH

Bis 17. Februar, Sa und So 14 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung unter Telefon 6 94 17 69, St.-Thomas-Kirche am Mariannenplatz, Kreuzberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen