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Internationale Oberfläche

Paris hat endlich sein lange erwartetes Museum neuen Stils für die junge Kunst: Letzte Woche wurde das Palais de Tokyo eröffnet. Die Hoffnung auf ein Crossover, das zwischen Kunst, Mode, Lifestyle und Politik nicht mehr unterscheiden mag, wurde aber enttäuscht. Dafür ist das Dauerevent garantiert

Die Arbeiten kommen so unambitioniert daher, dass man Absicht vermutet

von STEPHAN GEENE

Drei Themen prägten in der letzten Woche die Pariser Tageszeitungen: das letzte Defilée von Yves Saint Laurent, der Attac Congress mit den Vorbereitungen für Porto Allegro (Le Monde pushte ihn mit einem pompösen Sonderteil) und natürlich der Tod Pierre Bourdieus. Aber vielleicht zählt die lange erwartete Eröffnung des Palais de Tokyo, des Museums neuen Stils für die junge Kunst, auch dazu.

Man könnte annehmen, dass die ersten drei Sujets eben das Feld umreißen, in dem das Palais sich einrichten würde, denn die beiden Direktoren Jérôme Sans und Nicolas Bourriaud haben Ende der 80er Jahre angefangen zeitgenössische Kunst zu kuratieren und sich dabei im Diskursrahmen von Politik, Kulturkampf, Design und Musik bewegt. Magazine wie Blocnote, Bourriauds eigene Zeitung Documents und Purple entwickelten eine sehr spezifische Interpretation der 90er Jahre. Der weitverbreitete Anspruch nach Crossover, danach, zwischen Kunst, Mode, Lifestyle oder Politik nicht mehr zu unterscheiden, wurde nirgends sonst derart konsequent umgesetzt. Daraus entstand eine internationale Oberfläche, die Phänome von Jugend, Sexualität, Mode, Techno, ästhetisiertem Alltagsprotest oder Marketing mal komplex, mal simpel ineinander übersetzte. Kunst war darin weniger Gegenstand als Merkmal „interessanter“ Persönlichkeiten. Die Pariser Galerienszene jedenfalls konnte viel damit anfangen.

Damit war implizit auch der Anspruch verbunden, ein breites Publikum zu adressieren, das im weitesten Sinne Jugendkultur verkörpert, die den Kern der Konzeption des Palais de Tokyo ausmacht. „Kinos schließen ja auch nicht um 5 Uhr nachmittags“ – Nicolas Bourriaud erklärt damit schlicht die Dimension der 5000 qm Ausstellungsfläche auf ein eventgarantierendes Programm. „Man geht aus ins Palais de Tokyo, wie man in einen Film geht oder einen Club.“ Bourriaud und Jérôme Sans haben sich vor drei Jahren zusammengetan, um in Paris etwas Neues zu finden – was, das war noch nicht ausgemacht. Nachdem ihnen bereits ein Jahr später das leergewordene Palais de Tokyo zugestanden wurde, schwebte es seither zwischen Bedrohung und Glücksversprechen changierend wie ein Ufo über der young french art scene.

Die regelmässig gestreuten Ankündigungen oder Baustellenparties verstärkten die Erwartung nach neuen Managementformen. Was sich jetzt realisiert: das Museum wird mittags öffnen und schließt um Mitternacht. Es gibt keine Eröffnungen mehr, weil alle gezeigten Arbeiten oder Projekte ihre eigene Zeit haben: ständig wird eine Arbeit aufgebaut, eine andere abgebaut, Vernissage forever.

Das Glücksversprechen aber hat sich beim gelandeten Ufo nur beim Raum bewahrheitet: er ist spektakulär. In Kontrast zur monumentalen Fassade des Baus der Weltausstellung von 1937 ist der Innenraum wie ein rudimentäres, in der ersten Bauphase stecken gebliebenes Kaufhaus. Betonwände, dann wieder Marmor, überall Kabel, kaputte Wände. Hell, viel Oberlicht, und dennoch verschachtelt, ergeben sich auch ohne Stellwände unterschiedlichste Situationen. Hier muss niemand die Besenkammer suchen, um den institutionellen Anti-Raum zu „bespielen“. Le Monde wurde erfinderisch und bezeichnete die Architektur als „de-fini“, also „ent-fertigt“ und dennoch beschrieben, definiert.

Die Erwartung jedoch nach einer Ausstellung à la Purple oder dem neueren Magazin Crash (das Blocnote beerbte) – also nach Steigerung von New British Pop und Venedig-Biennale – wird locker unterlaufen. Stattdessen ist die Ausstellung breit gestreut mit sehr unterschiedlichen Arbeiten und offensichtlich niedrig gehaltenen Bezügen untereinander. Die meisten Arbeiten kommen so auffällig unambitioniert oder mäßig in Szene gesetzt daher, dass man beginnt, dahinter Absicht zu suchen. Die ist sicherlich gegeben, beide Kuratoren haben darauf verzichtet, Künstler/innen zu zeigen, mit denen sie bereits viel gearbeitet haben. Sie haben stattdessen auf solche gesetzt, die im internationalen Ausstellungsbetrieb weniger erfahren sind. Das macht die Sache interessant, bekommt aber erst dann seinen spezifischen Sinn, wenn man per Hintergrundmaterial erfährt, dass viele von ihnen nicht nur aus den unterschiedlichsten Regionen des Globus kommen, sondern auch weiterhin dort leben und arbeiten. Man kann es sich aber auch von den herumlaufenden „Mediator/innen“ erzählen lassen, einen Monat lang in Spezialausbildung geschulte Spezialist/innen, die jede zur Schau getragene Ratlosigkeit der Besucher/innen zum Auftritt nutzen.

Es bleibt eine eklatante Lücke zwischen der urbanen Bedeutung der neuen Einrichtung und der konzeptionellen Ausrichtung des Programms. Letztere ist so unbestimmt wie erstere überdeterminiert. Dass man, wie der Katalog sagt, „der Globalisierung Rechnung tragen will“, ist der einzige Verweis auf eine Absicht, die man im weitesten Sinne politisch nennen könnte und über ein sehr eng gestecktes Kunstverständniss hinaus lesbar wäre. In diesem Sinn sitzen fast alle gezeigten Arbeiten auf einem kunstübergreifenden thematischen Hintergrund auf, der aber wird kuratorisch so verflacht, dass nicht mal der Anflug des Gefühls entsteht, dieThemen würden hier auch „behandelt“. Stattgefunden hat nur das Event selbst, ein Angebot war damit nicht gegeben. Man muss vielleicht weiterhin ins Kino gehen, Vorträge aufspüren und Eingang in Defilées suchen.

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