piwik no script img

Verantwortung für die eigene Bewegung

■ Oldenburg II: „Tant X-Tra“. Die neue Tanzkompagnie des Staatstheaters „MS Schrittmacher“ zeigt Eigenproduktionen ihrer Mitglieder

Mantelmenschen hängen auf Stühlen. Verknotete Ärmel zucken. Beine kommen in Bewegung, die Möbel kippen um. Irgendwie rappeln sich diese gesichtslosen Figuren auf, suchen Kontakt zueinander, verheddern sich: Lolek und Bolek als Trenchcoat und Jacke mit Füßen dran. Werden sauer. Laufen weg.

Das ist der Anfang zu „Mystery Room“, einer Choreographie von Michael Langeneckert, selbst Tänzer bei „MS Schrittmacher“ am Oldenburgischen Staatstheater. In Erstausgabe zeigte das Haus jetzt „Tanz X-Tra“, eine neue Reihe mit Eigenproduktionen von Mitgliedern der neuen Tanzkompanie. Schnitt. Menschen hängen erstarrt über eisige Quader, die aus dem Boden ragen. Ihre Glieder können nur von Hand in Bewegung gesetzt werden, schwingen zurück, sich sträubend. Diese autistischen Krückenwesen erkennen einander nicht, ihre Posen erstarren in gefrorenen Tableaus. John Zorn hämmert einen metallischen Sound.

Schnitt. Offener Umbau. Einblendung von Videosequenzen, die Kälte als graphisches Bild, Internetästhetik flimmert. Drei Männer und drei Frauen probieren Paarungen: eine Frau verfolgt die andere, Bewegungen werden abgeschnitten, Behinderungen – unaufdringlich, aber vorhanden. Beobachtung, Imitation, das ist der Kontakt, aus dem synchrone Bewegungsabläufe entstehen, die aber ein ums andere Mal in Einzelaktionen zerfallen. Jeden hier drängt es ins Rampenlicht, Bewegungen sind vage, suchend, haltlos, eben nur irres Imitat.

„Mystery Room“ fragt nach Henne und Ei in der Cyberkultur: wo, bitte schön, gibts es hier noch Individuen, oder ist alles nur gepauste Pose? Leider hakt das Ganze noch dramaturgisch, und die Bewegungsideen sind auch nicht sehr originell, aber in einer stärkeren Konfrontation mit der theatralen Idee des Stückes könnte der Tanz sicher noch mehr auf den Punkt kommen.

Das gelingt Massimo Gerardi mit „Dystopik“ überzeugend, obwohl auch dieses Stück der aktuellen Tanz-Tendenz zur Konzentration auf die rein tänzerische Untersuchung des Sujets entgegenläuft. Das aber ist hier wohlüberlegt und in der Aussage dann auch endlich mal wenigstens so was ähnliches wie politisch. Junge Leute in Trainingsklamotten, beziehungsweise Tekknooutfits, bauen eine Klötzchenstadt. Akribisch, konzentriert. Dann verdrücken sie sich. Der Bühnenvorhang wird gehoben. Ein riesiges Digitalzählwerk läuft rückwärts ab. Die beiden Männer und Frauen agieren im gleißenden Licht weit geöffneter Scheinwerfer.

Hebefiguren fassen ineinander. Pendelnd, wie die Federn eines Uhrwerkes, bahnen sich diese Paarungen ihren Raum. Tatsächlich: Ein Riesenpendel schlägt aus, über die ganze Breite des Bühnenfonds. Abwechselnd halten die TänzerInnen es in Schwung, bauen weiter an der Stadt, und von der Deck prasselt rosa Limonade in ein riesiges Glas. Das muss natürlich auch noch ausgeleert werden, und schließlich kippen auch noch die Bauklötze um.

Viel Ausstattung also, die hier aber nicht zum Stellvertreter tänzerischer Aktion wird, sondern deren symbolträchtiges Objekt bleibt. Denn die Zeit, die hier tatsächlich abläuft – das ist eine Kernaussage – ist eigentlich die Entscheidung der Einzelnen: Ein Fall kann schnell gehen, er kann – das beherrscht Sita Ostheimer perfekt – auch mittendrin verlangsamt werden. Es ist die Frage nach der Verantwortung für die eigene Bewegung, das eigene Tempo, die eigene Priorität: Wie lange bleibt mir also, um das Glas auszuleeren, und was mache ich verdammt noch mal, wenn in der Zeit jemand sein Lieblingsspielzeug an meinem Leben ausprobiert. Weiter Brause trinken?

Marijke Gerwin

Weitere Aufführungen: heute und am 2. Februar um 20.00 Uhr im kleinen Haus des Oldenburger Staatstheaters

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen