: Friede im Glaubensstreit
Kirchen und Brandenburger Regierung nehmen Vergleichsangebot des Bundesverfassungsgerichts zu LER an. In Berlin dagegen bleibt alles beim Alten: Keine Bewegung beim Religionsunterricht
von PHILIPP GESSLER
Brandenburgs Glaubensstreit steht vor dem Ende: Die großen Kirchen haben erklärt, sie wollten den Vergleichsvorschlag des Bundesverfassungsgerichts vom Ende vergangenen Jahres zum märkischen Pflichtfach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER) zustimmen. Schon zuvor hatte die Landesregierung Manfred Stolpes (SPD) den Kompromiss akzeptiert. Auch die in Karlsruhe klagenden katholischen Eltern und die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fanden sich mit einer Einigung ohne Urteil ab. Nur unter den evangelischen Eltern gab es gestern noch Widerstand gegen die Aufgabe ihrer Klage in Karlsruhe.
Damit kann mit ein wenig Glück eine schulpolitische Auseinandersetzung gütlich beendet werden, die seit zehn Jahren zu den beherrschenden Themen in Brandenburg gehört – und die direkte Auswirkungen auf die Berliner Schulpolitik haben könnte. Zumindest ist das zu erwarten, da seit Jahren mit Verweis auf die ausstehende Entscheidung in Karlsruhe das Berliner Problem werteorientierter Unterricht auf die lange Bank geschoben wird. Zudem wird mit der so gut wie sicheren Einigung in der Mark die Hauptstadt künftig das einzige Bundesland sein, das seinen Schülerinnen und Schülern nicht verpflichtend die Teilnahme an einem Lehrangebot in Philosophie, Lebenskunde, Religionskunde oder Religion vorschreibt. Eisessen ist weiter angesagt, wie der evangelische Landesbischof Wolfgang Huber zu sagen pflegt.
Gilt jedoch tatsächlich, was über Jahre angekündigt wurde, dass eine Einigung in der Mark der Lösung der Religionsfrage in der Hauptstadt auf die Sprünge helfen würde? Die Beteiligten sind skeptisch. Die neue bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Felicitas Tesch, sieht in der Frage werteorientierter Unterricht keinen „akuten Handlungsbedarf“. Erst nach einer Fusion mit Brandenburg könne man eine Änderung des jetzigen Status Quo „überdenken“. Und wenn, so Tesch, ginge es wohl eher in Richtung einer Etablierung eines LER-ähnlichen Pflichtfaches, bei dem Lehrer verschiedener Konfessionen und Religionen nur stundenweise als Gast im Unterricht ihre Sicht darstellen können (dies wird Fenstermodell genannt).
Auch Siglinde Schaub, schulpolitische Sprecherin der PDS, betont, die bisherige Lösung in Berlin habe sich „bewährt“. Zwar könne sie sich ebenfalls die Einführung eines Faches nach dem Fenstermodell oder ein Fach „Kulturkunde“ vorstellen. Aber, schiebt sie nach: Wer soll das bezahlen? Die Kosten für die Einführung eines werteorientierten Wahlpflichtfachs werden nach nach Angaben des Lebenskunde-Experten des Humanistischen Verbandes Berlin, Werner Schultz, auf mehrere hundert Millionen Mark geschätzt.
So zweifelte denn gestern Bistumssprecher Andreas Herzig, ob die Potsdamer Einigung der Berliner Diskussion einen Impuls gibt. Eine Lösung auch für Berlin habe man bisher immer erhofft – schon weil die umstrittene Islamische Föderation derzeit außerhalb des Unterrichtsplans Islamunterricht erteilt, womit fast niemand glücklich ist. Nun aber scheint es, auch angesichts der im taz-Interview gestern geäußerten Ratlosigkeit des Schulsenators Klaus Böger (SPD) wieder zu haken. Steffen Schultz von der Evangelischen Kirche kündigte bereits an, man werde nicht auf eine Fusion mit Brandenburg warten, um zu einer Lösung zu kommen. Diese „Gemütlichkeit“ könne man sich nicht mehr leisten.
So oder so: Zumindest das Potsdamer Kabinett will schon im März einen neuen Entwurf zum Schulgesetz vorlegen, das nun zugunsten des Religionsunterrichts geändert wird. Einigen sich die Kirchen mit Stolpe in noch offenen, aber offenbar lösbaren Details, wird ab August dieses Jahres neben LER das aufgewertete Fach Religion im Berliner Umland unterrichtet.
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