: Reiche noch reicher
Stoiber hat Recht: Sinnlos verschenkt Rot-Grün viele Steuermilliarden an die Unternehmen. Es findet eine gigantische Umverteilung von unten nach oben statt
Viel Geld für Maßnahmen zur Bekämpfung der steigenden Arbeitslosigkeit sei nicht da, sagt die Regierung. Die Einnahmen gäben das zurzeit einfach nicht her. Und mehr Kredite aufnehmen gehe auch kaum mehr, da die Euroverträge nur einen bescheidenen Zuwachs an Neuverschuldung zulassen. Diese Grenze sei für die Bundesrepublik bald erreicht. So spricht die Regierung, so lassen vor allem der in den Medien gerne „eisern“ genannte Steuerzar Hans Eichel und sein Rasputin, der grüne Oberfinanzier Oswald Metzger, verlauten.
Die Regierung sagt auch, die schlechte Konjunktur hätte die Steuereinnahmen so reduziert und den gestrigen blauen Brief aus Brüssel provoziert. Das jedoch ist nicht einmal halb richtig. Nicht die ganz großen Brocken der Lohnsteuer oder der Umsatzsteuer verursachen die knappen Kassen. Die veränderten sich bisher nur recht mäßig. Was aber schon bei der Steuerschätzung vom November ins Auge sprang, das hat sich jetzt bestätigt. Dramatisch weggebrochen seit letztem Jahr sind die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer. Sie ist die zentrale Steuer auf die Gewinne von Kapitalgesellschaften. Und hier findet ein regelrechter Absturz von gut 24 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf minus 0,5 Milliarden Euro im Jahr 2001 statt.
Vielleicht doch ein Zeichen für eine schwächelnde Konjunktur? Ach was. Denn bei den Privathaushalten wiederum stiegen die Einkommensteuern für 2001, die für Dividendenzahlungen fällig wurden, drastisch an. Die Kapitalgesellschaften schütten munterer denn je Dividenden an ihre Eigentümer aus, sie zahlen bloß keine Steuern mehr. Und selbst wenn man diese höheren Einkommensteuern auf die Dividenden gegenkalkuliert, fehlen trotzdem für letztes und dieses Jahr netto jeweils etwa 14 Milliarden Euro Steuern aus dem Gewinn. Welchen kapitalen Bock haben Eichel, Metzger & Co. bloß geschossen, um ein solches Negativergebnis zu erzielen? Leider gleich mehrere. Nehmen wir die drei wichtigsten:
Erstens war schon die Ausgangsdiagnose falsch, dass in Deutschland Kapitalgesellschaften besonders hohe Steuern zahlten. Im Vergleich der OECD haben wir aber seit Jahren den (nach Island) niedrigsten Anteil solcher Steuereinnahmen am Sozialprodukt. Im Durchschnitt Europas und Amerika wird sonst etwa relativ doppelt so viel wie in der Bundesrepublik eingenommen. Nicht Senkung, sondern Erhöhung der Körperschaftsteuer und/oder der Gewerbesteuer hätte eigentlich angestanden angesichts der angestrebten europäischen Harmonisierung.
Zweitens setzten Eichel, Metzger & Co. auf die skurrile Position, dass es einen Unterschied mache, ob Dividenden aus dem laufenden Ertrag oder aus den Rücklagen gezahlt werden. Weil die Rücklagen irgendwann vor Jahren einmal mit einem höheren Steuersatz belastet worden waren, bekamen die Konzerne nämlich das famose Recht, diese Differenz von den Finanzämtern zurückzufordern. Und je niedriger die Koalition den neuen Steuersatz ansetzte, umso mehr lohnte sich das für die Firmen.
Man stelle sich das Gleiche ganz praktisch bei einem Arbeitnehmer vor. Da geht man zu seinem Finanzbeamten, legt eine alte Erklärung aus den Neunzigern oder auch Achtzigern vor, verweist auf die im Vergleich zu heute damals höheren Lohnsteuersätze sowie die niedrigeren Freibeträge und bittet freundlich um eine Rücküberweisung der zu viel gezahlten Steuern. Der Finanzbeamte würde staunen, bei einer Kapitalgesellschaft jedoch gilt dieses Ansinnen als normal.
Natürlich ließen sich die Konzerne diese Einladung zur Subvention eines fröhlichen Dividendenkehraus nicht entgehen. Zudem war den Unternehmen ja sogar der geniale Schachzug gelungen, mit dem vormaligen Leiter der Bayer-Steuerabteilung einen der Ihrigen als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium zu platzieren.
Schätzungen gehen davon aus, dass der gegenwärtige Rückgang an Steuereinnahmen nur die Spitze eines Eisbergs ist. Dass allein über diese Regelung während der nächsten anderthalb Dekaden insgesamt gut 37 Milliarden Euro Rückerstattungsansprüche von Konzernen auf die Steuerzahler zukommen könnten. Dies wäre dann eine der gewaltigsten Umverteilungen von unten nach oben, die die Republik je gesehen hätte.
Drittens werden jetzt ab Januar Verkäufe von Aktien für Kapitalgesellschaften steuerfrei gestellt. Welche unübersehbaren Risiken darin liegen, zeigt ein vom ARD-Wirtschaftsmagazin „Plusminus“ recherchiertes Beispiel für 2001. Eine damals bestehende Sonderregelung über ausländische Aktien gibt einen Vorgeschmack auf künftige Desaster. Da hatte die Telekom vor einigen Jahren für 1,6 Milliarden Euro Aktienanteile der Firma Sprint gekauft. Der Wert des Pakets stieg im Börsenboom auf über 8 Milliarden Euro. Zu diesem Preis verkaufte die Telekom den Anteil an ihr eigenes Tochterunternehmen NAB, eine reine Beteiligungsgesellschaft mit zwei Angestellten. Der – nur buchungstechnisch auftauchende – Gewinn bei der Mutter war wegen der Sonderregelung steuerfrei. Dann aber stürzte der Kurs des Aktienanteils wieder auf etwa 2 Milliarden Euro. Den – ebenfalls nur buchungstechnisch auftretenden – Verlust bei der Tochter in Höhe von fast 7 Milliarden Euro durfte die Telekom aber in ihre Bilanz übernehmen und ihren wirklichen Gewinn mindern. Ergebnis: statt ordentlich Körperschaftsteuern zu zahlen, bekommt das Mammutunternehmen Telekom für 2001 sogar Geld in Milliardenhöhe vom Staat zurück.
Nordrhein-Westfalen und Bayern (!) wollten im Dezember 2000 wenigstens diesen Unsinn noch in letzter Minute kippen. Vergebens. Heute lässt Edmund Stoiber beim Zug durch die Talkshows die Sünden des früheren, auch schon sehr konzernfreundlichen Finanzministers Waigel von der CSU vergessen. Heute darf der Kanzlerkandidat der Konservativen kaum widerlegbar Rot-Grün einer Voreingenommenheit für das Großkapital zeihen und sich selbst als Retter des Mittelstands gerieren.
Die von Eichel, Metzger & Co. so leichtfertig wie sinnlos verschleuderten 14 Milliarden Euro pro Jahr sind eine Menge Geld. Sie bedeuten eine Bevorzugung der Reichen, und sie mindern den Politikspielraum. Legt man die Summe etwa auf die 4 Millionen Arbeitslosen um, ergibt das 3.500 Euro pro Person. Selbst mit dem reinen Bundesanteil an diesen fehlenden Einnahmen, also der Hälfte, hätte man ein ziemlich großes Rad an teurer Arbeitsmarktpolitik drehen können. Aber Geld ist jetzt nur noch für das mickrige Kombilohnmodell da, für maximal 30.000 neue Arbeitsplätze. Das sei ja auch schon ein schöner Erfolg und mehr sei leider nicht drin. Sagt die Regierung.
GERD GRÖZINGER
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