: Ärzte im Praktikum
Bei der Debatte zur Schließung des Uniklinikums in Steglitz setzt Rot-Rot auf sachliche Diskussion. Die Opposition lässt das nicht zu: Sie kritisiert Schoßhündchen und Kommunikationsbanausen
von SABINE AM ORDE
Es sollte keine Redeschlacht werden. Kein grundsätzlicher Schlagabtausch über die Zukunft der Stadt. Nicht der Höhepunkt der emotionalen Debatte über den „Abbau West“, der derzeit die Stadt bewegt. Das müssen sich SPD und PDS vor der gestrigen Debatte im Abgeordnetenhaus über die Schließung der Uniklinik Benjamin Franklin (UKBF) fest vorgenommen haben.
Die Redner aus den rot-roten Fraktionen und der neue Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) jedenfalls halten am Nachmittag im Preußischen Landtag den Ball flach. Statt flammender Verteidigungsreden fordern sie unisono „eine Versachlichung der Diskussion“. Bekunden, mit der Schließung des UKBF die Berliner Hochschulmedizin retten zu wollen. Und sezieren dann, wie in einer Medizinvorlesung an der FU, Argumente und Legenden ihrer Kritiker.
Auftritt Christian Gaebler, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Die Charité eine Ostinstitution? Keineswegs, die Klinik sei mit Namen wie Rudolf Virchow und Robert Koch verbunden und der größere Teil der Kapazitäten längst an das Rudolf-Virchow-Klinikum in Wedding verlagert. Der Bestand der Freien Universität bedroht? Die Hälfte aller deutschen Universitäten haben keine medizinische Fakultät. Erst nach dem fünften Zwischenruf lässt sich Gaebler auf ein kurzes Scharmützel mit der CDU ein: „Verantwortungslosen Populismus Landowsky’scher Schule“ wirft er den Hinterbänken vor und fordert von den Kritikern endlich eigene Vorschläge. Benjamin Hoff von der PDS tut es ihm nach.
Dazu aber kommt herzlich wenig von CDU-Fraktionschef Frank Steffel, der als erster Oppositionsredner vortritt. Im „Medizin-Mekka“ Berlin ein Universitätsklinikum zu schließen sei, wie wegen zu hoher Lagerkosten Diamanten wegzuwerfen, so beginnt er seine Rede. Dass ausgerechnet eine amerikanische Stiftung wie das Benjamin-Franklin-Klinikum unter Beschuss gerate, „wirft die Frage auf, ob hier unter dem Deckmantel der Sparpolitik nicht eher Klientelpolitik betrieben wird“. Als er die Schließung des UKBF als einen Akt gegen die Zukunft Berlins kritisiert, bekommt er nicht nur Applaus von CDU und FDP, sondern auch von den Grünen. Überhaupt sind sich die drei Oppositionsfraktionen heute sehr einig.
Der grüne Fraktionschef Wolfgang Wieland, wie Steffel kein ausgewiesener Hochschulexperte, sondern eher ein Arzt im Praktikum, geht heftig mit dem Regierenden Bürgermeister ins Gericht. Klaus Wowereit, für seinen harten Kurs in Sachen UKBF bekannt, sei „beratungsresistent und kommunikationsgestört“. Wieland hält das Vorgehen der Koalition für eine glatte Verschleierung. Die Prüfung von Alternativen heiße „im besten Wowereit-Deutsch“: „Die Hochschulen sollen doch strampeln. Die Summe schaffen sie sowieso nicht. Deswegen erkläre ich gleich: Ich schließe.“
Auch der PDS gibt Wieland, wie so oft der erfrischendste Redner, kräftig eins mit. Wirtschafts- und Wissenschaftssenator seien in der Klinikumsfrage gar nicht zu finden. „Es sei denn, als Schoßhündchen des Regierenden Bürgermeisters.“ Doch die Polemik verfängt nicht. PDS- und SPD-Fraktion verfolgen wie stoisch die Debatte, der Regierende selbst meldet sich heute überhaupt nicht zu Wort.
Martin Lindner, Fraktionschef der FDP, ruft der FU- und UKBF-Spitze auf den Besucherrängen schlicht zu: „Argumentieren Sie, demonstrieren Sie! Sie sind nicht allein. Gemeinsam werden wir die Schließung des UKBFs verhindern!“ Vor Sitzungsbeginn hatte FU-Präsident Peter Gaehtgens 160.000 Protestunterschriften an Parlamentspräsident Momper (SPD) übergeben.
Dem gibt der Wissenschaftssenator Flierl ein kleines Fünkchen Hoffung. Er kündigt für die kommende Woche Gespräche zwischen Wowereit und ihm auf der einen Seite, Vertretern der Universitäten, der beiden Kliniken und des Wissenschaftsrats auf der anderen Seite an. Flierl will eine Expertenkommissiom berufen, die auch mögliche Alternativen zur Schließung des UKBF beraten soll. Noch in diesem Jahr will er dem Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf vorlegen. Einen entsprechenden Antrag wollte das Parlament gestern Abend mit den Stimmen von SPD und PDS beschließen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen