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Unterlassene Hilfestellung

Justizsenator beendet Spritzentausch im Knast. Drogenfachleute prophezeien massiven Anstieg an HIV- und Hepatitis-Infektionen  ■ Von Elke Spanner

Der Zigarettenautomat an der anderen Wand bleibt. Direkt gegenüber geht Justizsenator Roger Kusch (CDU) „mit den Mitteln des Strafvollzuges gegen Drogensucht vor“: Er demontiert den letzten Automaten, aus dem Gefangene der Anstalt Neuengamme sterile Spritzen bekommen konnten. Das seit 1996 laufende Spritzentauschprogramm, an dem sich auch die Gefängnisse in Fuhlsbüttel und das Frauengefängnis Hahnöfersand beteiligt hatten, ist beendet. „Dadurch machen wir deutlich, dass wir alle Wege beschreiten werden, die Zahl der Drogen hinter Gittern zu reduzieren“, erklärt Kusch die Maßnahme, die nach Einschätzung von Fachleuten zu einem massiven Ansteigen der HIV- und Hepatitisinfektionen hinter Gittern führen wird.

Viel ist bei Kusch die Rede von Symbolen, die gesetzt werden wollen, und von Signalen, die vom Rechtssenat abzugeben sind. Die Adressaten dieser Signale bleiben unbenannt. Die Gefangenen jedenfalls sind es nicht. Denen hat der Justizsenator nur mitzuteilen, dass sie medizinisch versorgt werden könnten, sollten sie ab heute unter Entzugserscheinungen leiden. Im Koalitionsvertrag hatte der Rechtssenat noch angekündigt, flankierend zum Ende des Spritzentauschs die Therapieangebote hinter Gittern zu verbessern. Davon aber ist keine Rede mehr. Neue Therapieeinrichtungen zu schaffen, fällt dem Justizsenator ein, sei nicht seine Sache, sondern die der Gesundheitsbehörde. Ob er sich mit Gesundheitssenator Peter Rehaag (Schill-Partei) koordiniert hat? „Da gab es nichts zu koordinieren.“

Auch Kusch weiss, dass er mit der Einstellung des Spritzentauschprogrammes seinem Ziel eines drogenfreien Knastes nicht näher gekommen ist. „Das Ziel lässt sich nicht mit einer einzelnen Maßnahme erreichen“, räumt er ein, und dass es „ein mühsamer Weg“ sei, der „nicht morgen schon erfolgreich sein wird“.

Morgen schon aber müssen sich die suchtkranken Gefangenen andere Mittel suchen, ihre Drogen zu konsumieren. Fachleute prophezeien, dass sich nun wieder mehrere Junkies eine Spritze teilen werden – was die Gefahr von HIV-Infektionen steigern wird. Kusch findet diese Einwände „unsachlich. Mit der Kritik kann ich nichts anfangen.“ Das Wissen der Gefangenen über HIV- und Hepatitisinfektionen sei groß, statt des Needle-Sharing könnten sie Beratungsangebote in Anspruch nehmen.

Die allerdings werden vom Rechtssenat laut dessen Haushaltsentwurf erheblich zusammengekürzt. Der Aids-Hilfe Hamburg beispielsweise werden 50.000 Euro weggenommen. Das aber war Kusch gestern nicht bekannt.

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