: „Widerstand erschlafft, na fabelhaft“
Die hat man doch alle als Kind noch in der Caterina-Valente-Show im NDR gesehen: Das Restaurant Moorlake am Wannsee veranstaltet regelmäßig kulinarische Lesungen. Diesmal berlinerte der Volksmensch Günter Pfitzmann
Alle Versuche, eine Partnerin für den Abend zu finden, scheitern kläglich. „Was hast du denn gegen Günter Pfitzmann, Vera?“ „Gar nichts, aber kann ich nicht mit wem anders hingehen? Oder wenigstens allein?“ „Ich muss aber mit.“ „Vielleicht fragst du wen anders.“ „Ich kenn ja nur dich. Und wenn ich allein komme, setzen die mich neben die Klofrau.“ „Aber ich wollte heute eigentlich doch lieber was Schönes machen.“ Immerhin kann ich am Ende wenigstens meine Schwester überreden, nachdem meine Mutter ein Machtwort gesprochen hat. Am Wannsee sieht der S-Bahnhof aus wie in Karow oder Blankenburg. Nur dass man in Blankenburg keine älteren Damen treffen wird, die mit kleinen Stifttaschenlampen den Busfahrplan studieren.
Dass der Bus dann gar nicht kommt, erinnert einen aber wieder an zu Hause. Der Taxifahrer legt schnell seine Beck-Gesetzestexte zur Seite. Nein, er studiert nicht Jura, nur ein bisschen Arbeitsrecht, weil er bei seiner Staatsfirma im Betriebsrat ist und alles den Bach runtergeht. Jeder gegen jeden, im Fernsehen nur Scheindiskussionen, nicht einen Arbeitsplatz hätten die bisher geschaffen, nur abgebaut, allein im letzten Jahr 40.000, alle in die Selbstständigkeit drängeln wollen die. Und viele vom Betriebsrat seien auch nur scharf auf einen Posten, überhaupt keine Vorstellung hätte man von der Korruption da oben. Günter Pfitzmann? Das ist doch aber ein Volksmensch, der ist doch in Ordnung.
Das Wirtshaus Moorlake ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Haus stammt aus der Jahrhundertwende, ein typisches Ausflugslokal mit Pension, direkt am See. Gleich nebenan und zu Fuß erreichbar Nikolskoe und die Pfaueninsel. Es gibt hier jede Woche Lesungen mit Menü und bei der Liste der Auftretenden staunt man: Walter Giller, Horst Bollmann, Wolfgang Spier, Peer Schmidt. Die hat man doch alle als Kind noch in der Caterina-Valente-Show im NDR gesehen. „Wir würden ja auch junge Autoren einladen, aber dann würde keiner kommen“, meint der Chef.
Die Zuhörer sind tatsächlich eher im gesetzten Alter, was natürlich auch an den 50 Euro für das 3-Gänge-Menü mit Lesung liegen kann. In der Hoffnung, dass das Essen opulenter ausfallen wird als die „Tagesration, Juli 1945“, die in einem Schaukasten an der Wand hängt – eine Scheibe Brot, 5 Stückchen Zucker, ein Klecks Butter – nehmen wir Platz. Jemand klimpert auf der Orgel, aber es ist wohl noch nicht Günter Pfitzmann, der trägt sicher keinen Kinnbart und keine Technokratenbrille.
Die Songs gehen nahtlos ineinander über, meine Schwester verrät mir den Text von „Tea for Two“: „Denn unter Küssen verstummt das Gewissen, es brennt das Verlangen, im Herzen erglüht es, und plötzlich, o Gott, geschieht es.“ Als Günter Pfitzmann die Empore betritt, guckt man zweimal hin, ob er echt ist, ein richtiger Fernsehstar. Er hat immer noch diese geschürzten Lippen, beim Aussprechen von feinen Dingen. Er beginnt mit seinem Lieblingsautor Tucholsky, und er versteht sein Handwerk, sogar das Berlinische hat nichts Abgestandenes, es wird eben nur nicht mehr so geredet: „Es handelt sich nämlich beßüglich der Wahlen.“ Wäre eigentlich ein Fall für den nächsten Wim-Wenders-Film, der hat doch was übrig für lebende Denkmäler.
Nach ein paar Knallern, wie dem Monolog eines Arbeiters, der sich bei den Wahlveranstaltungen der verschiedenen Parteien besoffen hat, „Kennse Joebbels?“, kommt eine ruhigere Nummer, Pfitzmanns Lieblingsgedicht „Mutterns Hände“. Das meinen sie wahrscheinlich mit „heiter-besinnlich“, und es wurde auch höchste Zeit für die zerbrechliche Oma, die vorhin bei „Ihr Widerstand erschlafft, na fabelhaft“ schon fast erstickt wäre vor Lachen.
In der Pause, während der Hauptgang serviert wird, stürmt der Autogrammsammler neben mir los. Er habe schon 50 Autogramme, mache das aber auch erst seit 97. Ich überlege, ob ich ihm meins gebe, damit er mir nicht später noch irgendwo auflauert. Aber vielleicht würde das nicht zählen, wenn man um ein Autogramm nicht betteln muss, sondern es aufgedrängelt bekommt. Das Klopapier ist von „Schmidt-Spiele“ und mit „Klobeleien“ bedruckt, kleinen Scherzfragen. „Spielen Sie Schmidt: Warum hat sich Kurt Tucholsky, der sich viel mehr in Richtung Kabarett und Unterhaltung bewegt hat, aus Verzweiflung umgebracht, und nicht Brecht, der doch überhaupt nichts Versöhnliches hatte? Die Auflösung steht auf dem übernächsten Blatt.“ Nach der Pause geht es weiter mit Erich Kästner und Joachim Ringelnatz. Viele kennen die Schlussreime schon und stimmen glücklich mit ein. Am herzlichsten wird über die SPD gelacht: „SPD: man tut watt für die Revolution, aber man weeß jenau, mit diese Partei kommtse nich. Und ditt is ja sehr wichtig für een selbstständijen Jemüsehändler.“ Und bei: „Die Ehe war zum größten Teile, verbrühte Milch und Langeweile“, gibt es tosenden Szenenapplaus der Eheleute im Saal.
Jeder scheint lauter klatschen zu wollen, um es seinem Partner zu zeigen. „Pö a pö“ geht es weiter über Ärzte, Grippe, enge Flugzeugsitze, teures Spielzeug für die Enkel. „Ang passang“ erfahre ich die richtige Antwort, die ich meinem Taxifahrer geben werde: „Wir brauchen einen Diktator, wie Maxe Schmeling oder Zeppelin.“ Die Leute „amisüren“ sich bis zum Schluss. Obwohl wir alle im Herzen eine Ruine haben, wie zwischendurch schön bemerkt wird.
Nach Lachsschaum mit Keta-Caviar an grüner Sauce, glaciertem Schweinelendchen an Champignonrahmsauce mit Blattspinat und Herzoginkartoffeln, einer Mousse au Chocolat mit Vanillesauce und einer Flasche Trollinger, der Kellner hatte uns mit seiner Erfahrung sofort den günstigsten Wein empfohlen, wird es Zeit zu gehen. Der Autogrammsammler ist schon viel früher verschwunden, ihm ging es offenbar nicht ums Essen. Noch ein Blick auf den See, ja, hier müsste man mal am Tag hinkommen, wenn man was sehen kann, am besten verliebt in ein Mädchen mit einem Auto.
„Wir müssen schnell ßu Hause“, sagen wir zum Taxifahrer. „Sonst jibt ditt Schimpe von Muttern.“ „Wo waren Sie denn? Ach bei Günter Pfitzmann? Dann war’s ja sicher kurzweilig.“ Genau, nicht wie bei diesen jungen Autoren. JOCHEN SCHMIDT
Karten an den Theaterkassen, Tel. (03 31) 2 70 98 88, oder im Internet www.moorlake.de. Am 22. 2. liest Walter Schmidinger Karl Valentin, am 9. 3. Ulrich Pleitgen, am 22. 3. Günter Lamprecht, am 30. 3. Walter Giller, Beginn jeweils 19 Uhr, Preis 50 € inkl. ein Glas Champagner und 3-Gänge-Menü. Wirtshaus Moorlake, Moorlakeweg 6, S-Bahn bis Wannsee, dann Buslinie 216.
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