: Flirtend zum Mord
Wie weit kann zu weit gehen? In der Berliner Schaubühne hatte Shakespeares „Macbeth“ Premiere. Macht? Intrige? Bei der Regisseurin Christina Paulhofer muss vor allem der Rhythmus stimmen
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Ein Steg aus Eisen läuft quer durch den Raum: Theater im Cinemascope-Format. Ein Thron am Ende, mit Ablaufrinnen für das viele Blut, und Regen, der die besudelten Körper wieder in ihre unschuldige Nacktheit und Verletzbarkeit zurückduscht: Mehr Bühnenbild braucht die Regisseurin Christina Paulhofer fast nicht in ihrer Inszenierung von Shakespeares „Macbeth“ an der Berliner Schaubühne. Schmal, kalt und hart wie der Steg ist auch das Gerüst des Textes, das sie von Shakespeares „Macbeth“ übrig gelassen hat. Kein barockes Fleisch hängt mehr an diesen Knochen. Schlank und durchtrainiert wie die Körper der jungen Schauspieler, die sicher nichts wissen von der Melancholie, die von zu viel fettem Essen und schwarzer Galle kommt.
Eine pragmatisch denkende Generation steht auf der Bühne und spielt den Wahnsinn einer Zeit, in der Hexen noch Institutionen waren. Die Zuschauer drehen die Köpfe wie beim Tennisspiel, wenn Lord und Lady Macbeth sich streiten über die ganze Länge der Bühne. Der Steg mit tiefen Gräben rechts und links hat viele Vorteile. Zum Beispiel für das Entsorgen der Leichen, die mehr und mehr auf der Bühne anfallen. Erst sind es nur einzelne Tote, später ganze Familien. Aber auch wenn Macbeth mit Gespenstern hadert und in seiner Wut über die hartnäckige Wiederkehr von Banquo aus dem Reich der Toten ganze Tische abräumt, stürzt alles dahinunter. Muskelkater muss André Szymanski als Macbeth nach jeder Aufführung haben.
Doch in den Graben stürzen auch die Historie ab und der breite Streifen Zeit, der uns von der Epoche Shakespeares trennt. Staunen, Befremden und Nichtverstehen? Herausgeschnitten sind alle Passagen der Begründung der Machtansprüche, der Suche nach Legitimation. So jung und gegenwärtig dieser Shakespeare daherkommt, so wenig scheint er von seiner Vergangenheit zu wissen.
Den Zuschauer emotional packen wie im Kino, das möchte die Regisseurin Christina Paulhofer. Richtig spannend wird ihre Inszenierung aber erst nach der Pause, als das mörderische Paar nun auch Opfer der eignen Taten ist und die Lebenden nicht mehr von den Toten unterscheiden kann. Wie Lady Macbeth die Stimmen derer nachahmt, die sie in ihrem Verfall beobachten, und wie sich in ihrem kleinen, bis dahin so stolzen Körper Unsicherheit und Angst ausbreiten, bis sie keinen Schritt mehr geradeaus schafft, das ist schlicht ergreifend. Im ersten Akt aber glaubt man ihnen nicht die Lust an der Macht. Eitel sind sie, narzisstisch, hungrig nach Erfahrung wie verwöhnte Kinder. Zum ersten Mord verabreden sie sich in einem infantilen Flirt. Lady Macbeth klettert auf die Schultern Seiner Lordschaft und jagt ihn über das Gitter. Macbeth stolpert durch seine eigene Geschichte wie durch ein Experiment: Wie weit kann der Mensch gehen? Nun, sehr weit. Er findet Geschmack daran, seine Opfer zu verhöhnen, bevor er sie erwürgt. Er berauscht sich an der eigenen Brutalität. Macbeth geht tanzen auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Von irgendwoher dringt das tiefe Wummern eines Raves beständig auf die Bühne.
Aber Macht? Politik, Intrige? Das komplexe System von Bündnis und Verrat bleibt angedeutet nur. Lady Macbeth ist keine Femme fatale. In hohen Schuhen und Glitzerkleidchen stakst Karin Pfammatter der Tragödie entgegen, Schlampe eher als Intrigantin. Schlampen sind zu faul (vielleicht zu klug), die Fäden im Spiel der Männer an sich zu reißen. Lady Macbeth, das war einmal in einer Inszenierung von Katharina Thalbach eine Frau, die nur um den Preis, grausamer zu sein als alle Männer, ihre Rechte gegen deren Macht verteidigen konnte. Auch das gab Shakespeares Text her. Die Hexen wurden zu Erinnyen, die sich rächen für geraubte Macht.
Eine solche feministische Lesart aber interessierte Christina Paulhofer ebenso wenig wie eine politisierte, die den Krieg vor tausend Jahren mit den Kriegen von heute in Beziehung gesetzt hätte. Ihr ging es, wie sie vorweg in Interviews sagte, um die „Lovestory von zwei zu groß geratenen Kindern“. Macbeth wird fast zu einer Privataffäre.
Wäre da nicht Ceaușescu. Von seiner Hinrichtung und ihrem plötzlichen Mitleid mit dem Diktator erzählte Christina Paulhofer auch, die aus Rumänien stammt, und legt doch noch eine Fährte aus in Richtung Geschichte. Oft wird sie nach ihrer Herkunft gefragt, und Lebenserfahrung unter der Diktatur gehört zu den Kompetenzen der jungen Regisseurin. Doch erst in den letzten Bildern ihres „Macbeth“ nimmt sie diesen Faden auf. Mafia oder Geheimdienst? Die Typen, die am Ende auf der Bühne stehen, morden nicht nur zum Spaß. Aber das Stück ist da schon zu Ende.
Mit „Macbeth“ hat die junge Schaubühne in Berlin ihren ersten Shakespeare im Programm. Das Theater möchte seine Präferenz für zeitgenössische Autoren nicht mit einem Generationskampf verwechselt sehen. Wir können auch anders, behaupten die Klassiker in ihrem Spielplan. Auch Paulhofer, die in Bochum, Zürich und Hannover mit Stücken von Sarah Kane, Rainald Goetz und Wedekind erfolgreich war, nervt das Generationsthema. Mit Shakespeare geht sie nicht anders um als mit Stoffen der Gegenwart. Der Rhythmus muss stimmen.
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