daniela böhle über Alltag: Riester existiert nicht
Zur Rente kann ich wirklich keine Fragen beantworten. Warum mache ich es nur?
Letztens bekam ich mal wieder einen Anruf von einem wildfremden Menschen. „Ich führe im Auftrag der Freien Universität Berlin eine Umfrage durch. Haben Sie zwei Minuten Zeit?“
Habe ich. Wer sagt, er habe keine zwei Minuten Zeit, lügt. Inzwischen lege ich eigentlich immer auf, wenn ich den Anrufer nicht kenne, aber bei FU Berlin hatte ich das spontane Bedürfnis, der Forschung zu dienen.
„Können Sie mir sieben Fragen zum Thema Riester-Rente beantworten?“
„Och Mönsch“, sagte ich, „stellen Sie mir doch Fragen zum Thema Hochwasser an begradigten Flüssen oder Storchenzucht in Ostdeutschland.“ Zur Riester-Rente kann ich bestimmt keine Fragen beantworten. Ob ich will, fragt er gar nicht erst.
Ich denke darüber nach, dass heute schon vierhundertzweiundreißigmal am anderen Ende aufgelegt wurde. Dreihundertneunundfünfzig Leute über 65, versehentlich in seine Liste gerutscht, haben ihm die Ohren voll geheult, weil sie zu wenig Rente bekommen. Ich bin nicht sicher, ob ich mit ihm Mitleid haben will.
Mir fällt ein, dass zurzeit an jedem Geschäft irgendein Satz steht, in dem das Wort „Riester-Rente“ vorkommt. Was wissen Sie über die Riester-Rente?, heißt es zum Beispiel. Kommen Sie rein, wir erzählen Ihnen was. Oder: Haben Sie sich schon gegen die Riester-Rente geschützt? Wir helfen Ihnen gegen die Riester-Rente! Oder: Hier gibt es die Riester-Rente! Oder: Heute ist Tag der Riester-Rente! Oder: Riester-Rente forever! Gegen Tchibo wurde dieser Tage eine Klage gewonnen, weil die zu jedem Pfund Kaffee als Dreingabe eine Riester-Rente verschenken wollten. Vielleicht musste man auch zu jedem Pfund Kaffee eine Riester-Rente kaufen? Oder wurde Riester gerichtlich verboten, bei Tchibo Kaffee zu kaufen?
„Da sind Sie an der falschen Adresse“, sage ich, „davon verstehe ich nichts.“
„Sie brauchen dazu kein Fachwissen“, sagt der Junge. „Denken Sie, dass Sie im Alter ebenso viel Geld benötigen wie jetzt?“
„Das ist aber eine komische Frage“, entgegne ich. „Sollten Sie dazu nicht wissen, wie viel Geld ich heute benötige? Oder ob ich heute so viel Geld habe, wie ich benötige? Sollten Sie nicht wissen, wofür ich Geld benötigen würde? Wollen Sie wissen, ob ich im Alter ebenso eine Villa in Griechenland besitzen möchte wie schon heute? Oder Geld für einen eigenen Koch? Was tragen Sie in Ihr Formular ein, wenn ich sage, ich brauche genug Geld, um jedem Menschen auf der Welt eine eigene Hollywoodschaukel zu schenken?“
„Ach so“, sagt er. Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass er nicht versteht, was ich meine.
„Denken Sie, dass Sie durch die gesetzliche Altersvorsorge im Alter ausreichend abgesichert sind?“
„Damit habe ich mich nun wirklich noch nicht beschäftigt“, antworte ich. Er daraufhin altklug: „Na, dann wird es aber mal Zeit.“ Ich habe diesmal nicht nur das unbestimmte, sondern das bestimmte Gefühl, dass er gerade keinen Scherz macht.
„Hey“, sage ich, „ich bin 31, ich denke nicht jeden Tag über meine Rente nach. Sie etwa?“ Der junge Mann antwortet: „Ich bin Student, ich bin 23, und ich habe schon eine zusätzliche private Rentenversicherung abgeschlossen.“ Jetzt muss ich so laut lachen, dass er ohne ein weiteres Wort auflegt.
Ich denke wieder an die ganze Werbung. Ich frage mich, ob es diesen Riester überhaupt gibt. Vielleicht hat ihn die Vereinigung aller Geldverleiher und Aus-Geld-noch-mehr-Geld-Macher erfunden, so wie irgendwann einmal die Clementine von Ariel erfunden worden ist.
Ein cleverer Werbegag, um den Leuten einen idiotischen Gedanken in den Kopf zu hämmern: Das „Was wird sein, wenn ich mal dreißig Jahre älter bin?“. Obwohl man den Leuten bereits gute Gründe ans Herz legen muss, damit sie im Sommer schon ihren Winterurlaub buchen oder einen Doppelpack Duschgel kaufen, für dann, wenn die eine Packung mal leer sein wird. Und weil das eine so vollkommen hanebüchene Idee ist, hat man die Figur des Riester erfunden, die wegen der größeren Glaubwürdigkeit sogar noch einen Vornamen bekommen hat: Walter. Man hat so einen Laiendarsteller mittleren Alters, der noch in keiner Vorabendserie mitgespielt hat, in verschiedene Anzüge gesteckt und an unterschiedlichen Orten fotografiert. Einzelne dieser Fotos gibt man jetzt ab und zu, wenn die Geschäfte schlechter laufen, an die Presse, zusammen mit einer erfundenen Geschichte, was sich die Figur Riester jetzt mal wieder Schlimmes ausgedacht hat. Und – batsch – gleich am nächsten Tag rennt wieder ein Haufen Leute in die Geldinstitute.
Nach dem Telefonat mit dem Jungen von der FU Berlin, wenn das man stimmte, suche ich meinen Ordner mit den offiziellen Dokumenten heraus. Da, meine zusätzliche private Rentenversicherung. Ist alles noch da. Na, denke ich mir, dann kann ja nichts passieren.
Fragen zum Alltag?kolumne@taz.de
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