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Ein Boykott des Parlaments als Wahlkampfmanöver

Zwei Monate vor den Wahlen verlassen Ungarns Sozialisten die Volksversammlung. Premier Orbán soll sie als „Heimatverräter“ beschimpft haben

BERLIN taz ■ Im ungarischen Parlament bleiben künftig mehr als 100 Stühle leer: Am Dienstag verließen die Sozialisten (MSZP) unter Protest das Plenum. Die Vertreter der größten Oppositionspartei wollen das Parlament bis zu den Wahlen am 7. April boykottieren. Grund dafür soll ein beleidigender Zwischenruf des Regierungschefs in einer öffentlichen Sitzung gewesen sein. Die Sozialisten behaupten, Ministerpräsident Viktor Orbán hätte alle Abgeordneten der Sozialisten als Vaterlandsverräter bezeichnet. Damit habe er nicht nur die Opposition beleidigt, sondern auch Millionen von Wählern, die für die Sozialisten stimmen, meinte der Fraktionsvorsitzende, Sándor Nagy.

Der Präsident der regierenden Partei Bund Junger Demokraten (Fidesz) kritisierte die Aktion als einen aufgebauschten Skandal. Das Sitzungsprotokoll sagt jedoch etwas anderes. Danach beschimpften zwei ranghohe Fidesz-Abgeordnete die Opposition lautstark als Landesverräter. Orbáns Aussprüche fehlen hingegen im Stenogramm. Er selbst gibt jedoch zu, in einem „Privatgespäch“ mit dem Vizefraktionsvorsitzenden der Sozialisten, László Keller, etwas Beleidigendes gesagt zu haben. Nach Medienberichten hörten einige Fidesz-Abgeordnete, wie Orbán die Zwischerufe mit dem Satz kommentierte: „Das ist leider wahr.“

Die Wahrheit wird wohl niemand erfahren. Die zwei größten Parteien des Landes stehen mitten im Wahlkampf. Meinungsumfragen, die sich oftmals total widersprechen, lassen bislang keine Schlüsse auf das Wahlergebnis zu. So liegen die Nerven auf beiden Seiten blank.

Noch vor einigen Monaten schien die Wiederwahl der Fidesz sicher. Unterstützung kostete die Regierung jedoch, dass sie nach wie vor an der Umsetzung des umstrittenen Statusgesetzes festhält. Dieses Gesetz sieht Begünstigungen in Ungarn für die ungarischen Minderheiten aus den Nachbarländern vor.

Erst in dieser Woche blockierte das slowakische Parlament das Statusgesetz und verurteilte es als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes. Rumänien billigte das Gesetz. Das entsprechende Abkommen sieht vor, dass alle rumänischen Staatsbürger in Ungarn pro Jahr bis zu drei Monaten legal arbeiten dürfen. Diesen Preis befanden die Sozialisten als zu hoch und attackierten die Regierung, sie gefährde leichtsinnig ungarische Arbeitsplätze.

Die Opposition setzt auf die Angst der Bevölkerung vor den Rumänen. Die Sozialisten haben gute Chancen, die verloren geglaubten Wahlen nun doch noch zu gewinnen. Dass sie damit ihre liberalen Grundüberzeugungen opfern, scheint sie nicht zu kümmern.

Das hat der Fidesz schon längst getan. Derzeit lässt sich die angeschlagenen Koalition von der rechtsradikalen Partei MIÉP die Mehrheit im Parlament beschaffen. Doch eine Koalition mit der MIÉP kann sich Orbán nicht erlauben, schreibt doch die künftige Regierung in der nächsten Legislaturperiode wahrscheinlich ungarische Geschichte: Der EU-Beitritt steht bevor.

Die Jungen Demokraten haben jedoch keinen anderen Koalitionspartner und müssen daher die absolute Mehrheit erringen. So versuchen sie, mit radikalnationalistischen Sprüchen die Wähler der Rechtsradikalen für sich zu gewinnen.

Am Dienstag debattierte das Parlament die Folgen des Statusgesetzes. Fremdenfeindlich seien die Sozialisten, rief ein Abgeordneter der Fidesz. Damit hat er sogar Recht. Denn keine der ungarischen Parteien kann sich derzeit auf demokratische Grundwerte berufen, ohne sich selbst lächerlich zu machen. Als würde Haider dem Italiener Fini vorwerfen, mit ausländerfeindlichen Sprüchen punkten zu wollen. GERGELY MÁRTON

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