Der Terror streift die Provinz

Das flüchtige Gefühl existenzieller Erfahrung: Eine Begegnung mit dem Regisseur Ulrich Köhler, dessen Debütfilm „Bungalow“ das typisches Lebensgefühl einer Jugend in Marburg reflektiert

von ANDREAS BECKER

Hektik und Nervosität im Hyatt-Hotel, wo sich das Pressecenter befindet: Man glaubt sich gar nach Salt Lake City versetzt, brennt in der Bar neben dem Foyer doch ewig eine Flamme. Hier sitzt der Regisseur von „Bungalow“, der im Panorama läuft. Es ist der erste lange Film von Ulrich Köhler.

Die Geschichte eines Bundeswehrrekruten in der deutschen Provinz, wo die Autos mit MR-Nummernschildern um kleine Berge herumkurven. Nicht viel los hier. Vor allem nicht für erwachsene Jugendliche. Köhler selbst kommt aus der Gegend bei Marburg. „Ich hätte den Film vielleicht auch woanders ansiedeln können, habe mich aber bewusst für die Provinz entschieden“, sagt er. Im Debüt des 32-Jährigen geht es um eine Welt, in der es keine wirklich existenziellen Konflikte mehr gibt – ein wohl relativ typisches Lebensgefühl seiner Generation. Der junge Mensch Anfang 20, in seinem Film der Rekrut Paul, muss sich schon äußerst stark bemühen, mit irgendwem vom Staat (hier vom „Bund“) richtig doll Ärger zu kriegen. Früher dagegen gab’s Demos mit richtig Haue und Knast, von dem einem die Lehrer heute stolz erzählen. Köhler haut den Nach-Achtundsechzigern denn auch schön eine rein. Als Paul an einer Tankstelle einen früheren Lehrer trifft, fragt der ihn entrüstet, warum er denn nicht verweigert habe. „Aus Gewissensgründen“, antwortet der Fahnenflüchtige.

Die Abwesenheit politischer Konfliktlinien – oder das Gefühl, von diesen zumindest selbst nicht tangiert zu werden – hat Köhler durch eine Begebenheit, die er selbst in seinem Heimatort erlebt hat, in den Film eingebaut. Einmal explodierte das Schwimmbad. Fernsehteams kamen vorbei, plötzlich war die Kleinstadt der Herd des Terrorismus. „Alle glaubten, die RAF habe einen Anschlag auf den benachbarten Knast versucht, in dem auch verurteilte RAF-Mitglieder einsaßen. In Wirklichkeit war die Explosion, auch im Film, dann nur eine harmlose Chlorgasexplosion.“ Am sehr unmondänen Pool des „Bungalow“ diskutiert man den Vorfall und kommt zu dem Schluss, „der Kapitalismus habe keine natürlichen Feinde mehr“.

Noch einen allerdings unbeabsichtigten Bezug auf Terrorismus enthält „Bungalow“: Eine Dänin (klasse gespielt von Trine Dyrholm, der Kellnerin in „Das Fest“), die Freundin seines Bruders, in die sich Paul sofort verknallt, fragt ihn, warum er denn eine Pilotenausbildung machen wolle. Der Film wurde aber vor dem 11. September gedreht. Auch dieses Datum, so Köhler, sei wieder so ein Ereignis gewesen, bei dem viele zunächst gedacht hätten, selbst eine existenzielle Erfahrung gemacht zu haben. Was sich einige Monate später dann schon wieder als fast flüchtiges Gefühl erweist.

Köhler studiert eigentlich noch immer („mir fehlen jetzt leider ein paar Semester“) Philosophie in Hamburg und würde das Studium auch gern irgendwann abschließen, ist nur durch die Filmarbeit bislang nicht dazu gekommen. Er fühlt sich vor allem beeinflusst durch den französischen Film und schwärmt von Frankreich, wo scheinbar mehr Interesse an anspruchsvollem Kino vorherrscht als bei uns. Zwei Jahre hat Köhler im französischen Quimper gelebt und dort eine Kunstausbildung genossen.

Aus Frankreich hat er – zum Glück – nicht den elaborierten Code importiert, sondern das wirkliche Interesse an Figuren. Ein Film mit wenig Text, aber viel glaubhaftem Lebensgefühl. Jetzt müsste er nur noch einen deutschen Verleih finden, der ihn in die Kinos bringt. Verdient hätte „Bungalow“ es allemal.