: Der dritte Kandidat
Der französische Exsozialist Chevènement will Präsident werden. Während sich die Konkurrenten Schlammschlachten liefern, wirbt er für sein Programm. In Umfragen liegt er auf Platz drei
aus Paris DOROTHEA HAHN
Jean-Pierre Chevènement ist ein Außenseiter. Der 62-jährige Linkssozialist, einer der wenigen Intellektuellen der politischen Elite Frankreichs und ausgewiesener Deutschlandkenner, gehörte in den vergangenen zwei Jahrzehnten drei linken Regierungen an – und trat drei Mal mit lautstarker Kritik an den eigenen Leuten zurück: 1983 geißelte er die rechtsliberale Wende von Mauroy, 1991 den Golfkrieg von Mitterrand und im Jahr 2000 die Korsika-Politik von Premierminster Jospin. Prinzipientreue und Patriotismus haben Chevènement Freunde in allen politischen Lagern verschafft. Doch nachdem er auch die rot-rosa-grüne Regierung verlassen hatte, sagten ihn viele politisch tot.
Jetzt kommt er zurück. Als Kandidat für das höchste Amt im Staate. Nicht mehr als Linker, sondern im Zentrum eines „republikanischen Sammelbeckens“. Das klassische Rechts-links-Schema, so Chevènement, sei überholt. Die Politik des neogaullistischen Staatspräsidenten Chirac und die des sozialistischen Premierministers Jospin seien „zum Verwechseln ähnlich“. Die Alternative sei er.
Eine bunt gemischte Truppe unterstützt Chevènements Kandidatur: Globalisierungskritiker (an deren Porto-Alegre-Treffen der Kandidat in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal teilnahm), orthodoxe Kommunisten, regierungskritische Sozialisten, Gaullisten (darunter mehrere Europaabgeordnete der Liste RPF) und Nostalgiker der Monarchie. Sie nennen ihn „Che“ und halten ihn für den „Mann der Nation“, der Frankreich wie einst General de Gaulle aus den Klauen der europäischen und atlantischen Fremdbestimmung befreien soll. Die Lage, so tönt es aus dem Unterstützerkomitee, sei ernst – „vergleichbar mit 1940–1944, als sich rechte und linke Patrioten in der Résistance zusammenfanden, um Frankreich zu retten“.
In Paris lächelten viele, als Chevènement am 4. September 2001 im Rathaus der Stadt Belfort, deren Bürgermeister er ist, seine Kandidatur bekannt gab. Als Kulisse wählte er den Ort einer Schlacht gegen Preußen. Als Sprache Begriffe wie: „nationales Interesse“, „Volk“ und „Unabhängigkeit“. Und als Programm die Sicherung des öffentlichen Dienstes, das Ende des wilden Liberalismus, die Wiedereinführung von Bürgerkunde und Benimmstunden im Unterricht und die Stärkung des Staates nach innen und außen.
Chevènement rieche nach „altem Frankreich“, er sei „ein Reaktionär“, kommentierte der rechtsliberale Exverteidigungsminister Millon, der Mitte der 90er-Jahre mit der rechtsextremen „Front national“ flirtete. Auch die früheren linken Koalitionspartner dreschen auf den Ex-Innenminister ein. Chevenement sei ein „Populist“, sagen die Grünen, ein „Übereifriger, der es allen recht machen wolle“, die Kommunisten. Schwer tun sich die beiden großen Parteien mit ihm. Die PS, der Chevènement mehr als drei Jahrzehnte lang angehörte, bevor er seine „Bürgerbewegung“ MDC gründete, nennt ihn „unmodern“. Die RPR von Chirac, die den Patrioten Chevènement jahrelang als potenziellen Alliierten auf der Linken verstanden hat, schweigt.
Inzwischen ist den Konkurrenten das Lächeln vergangen. Während Chirac und Jospin auf den günstigen Moment warten, um ihre Kandidaturen bekannt zu geben, setzt Chevènement die Themen: innere Sicherheit, Arbeitsmarkt und Europa. Die Zeitung Le Monde schrieb, er habe den „ersten Abschnitt des Wahlkampfes gewonnen“. Das Institut CSA prognostizierte ihm 14 Prozent der Stimmen bei der Präsidentschaftswahl. Tendenz steigend. Damit ist Chevènement der „dritte Mann“. Jener, der gleich hinter den beiden Großen – Chirac (23 Prozent) und Jospin (22 Prozent) liegt und bei den Wahlen am 21. April und 5. Mai eine zentrale Rolle spielen wird.
Er profitiert von der Konturlosigkeit der Großen, die sich statt mit Programmen mit Schlamm und alten Affären bewerfen. Chirac, der im Wahlkampf 1995 noch von der Möglichkeit eines Euro-Referendums sprach, sagt heute gar nichts mehr zum Thema Europa. Jospin, der 1997 die Vollbeschäftigung ankündigte, schweigt angesichts von Arbeitslosenzahlen, die seit acht Monaten ununterbrochen steigen, in Sachen Arbeitsmarkt. Für Chevènement ist das Ziel ein Duell im zweiten Wahlgang. Egal ob gegen Jospin oder Chirac.
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