: Metaphysik und Kasperletheater
Das Weltenkind spielt mit der Planetenbahn, die Drehbühne knarzt, vermessen scheint, wer noch Hoffnung hat: Jarg Pataki hat für die Kammerspiele des DT „Die Zeit und das Zimmer“ von Botho Strauß mit Puppen und Schauspielern inszeniert
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Es beginnt im Delirium. Die Drehbühne rast, Luken klappen auf und zwei Puppen, die wir später als die „Ungeduldige“ und den „Mann ohne Uhr“ kennen lernen werden, schießen heraus und hauen sich auf die Rübe.
Ein Zirkusmarsch mischt sich ins Techno-Gedröhn. Zwei Männer in Grün, bewegt von Puppenspielern, die sich im schwarzen Trikot schmal hinter den Figuren machen, treten einen zappelnden Schaukampf an. Oho, aha, da fliegen die Fetzen, die Köpfe knallen an die Wand, der ganze Mann zerfließt wie Brei. Weiter rast das Karussell, eine Gliederpuppe, wo kam sie bloß her, dient den Grünen als Unterlage ratternder Beckenstöße in einem Tempo von, na, vielleicht dreitausend Anschlägen in der Minute. Immer voller wird es auf dem Karussell, drei Subalterne in Schwarz, so armselig, dass selbst schon an der Verkleidung der klappernden Glieder gespart wurde, drucksen auf ihren Stühlen rum wie bei schwerem Stuhlgang. Im Grunde hat man in diesem Schnelldurchlauf das ganze Stück schon gesehen, man weiß es bloß noch nicht.
Was dem Prolog folgt, ist die Textfassung von „Die Zeit und das Zimmer“, von Botho Strauß Ende der Achtzigerjahre geschrieben und von Jarg Pataki, Gastregisseur aus der Schweiz, mit so vielen Dehnungen der Zeit und Zwischenspielen der Puppen versehen, dass man sich manchmal zurücksehnt nach dem Rummelplatz zu Beginn. In dieser ersten Beschleunigung wurde die Grausamkeit zur Groteske. In der langsamen Abwicklung zeigen sich die Personen subtiler in der Gemeinheit, geschmeidiger im verletzenden Missbrauch der Konventionen, genauer in der Beobachtung der Anpassung, gnadenloser in der Aufdeckung ihrer Versteckspiele. Keine Frage, die der Sprache Mächtigen agieren entschieden intelligenter als die Puppen und mit einer Weisheit, die schon Jahrhunderte lang im Umgang mit Demütigungen geübt hat – ob sie damit auch effektiver an ihr Ziel gelangen als die Figuren im Kasperletheater zu Anfang, bleibt unwahrscheinlich.
Julius (Peter Pagel) gehört zu ihnen, strähnig wie das Haar der ganze Mann. „Genau wie damals. Tempo der Türen. Nichts sonst. Auf zu. Auf zu“, kann er sein Leben zusammenfassen, oder „Ich bin für eine Million Enttäuschungen geboren, und wie viel habe ich erlebt? Nicht einmal ein rundes Dutzend.“ Er hat versucht, schlau zu sein und sich auf den Posten des Beobachters zurückzuziehen, der um die Selbsttäuschung der Gefühle weiß. Jetzt holen ihn liegen gelassene Liebschaften ein. Sein Freund – oder nur sein Untermieter? – ist Olaf (Ulrich Matthes), der sagt lange nichts, fast bis zur Pause. Dann kommt ein Monolog, so gelenkig im Auswischen jeder Spur, die er hinterlassen könnte, der Mann passt fast durch den Briefkastenschlitz.
Später will er einmal zu Marie Steuber (Inka Friedrich) ziehen, die als „Joker im Stück“ die Liebesfähigkeit sämtlicher Männer auszutesten hat, aber da bricht Marie gerade zu einer Reise auf. Man kann sich Olaf auch nicht vorstellen außerhalb seines Unglücks. Dann gibt es noch die „Ungeduldige“ (Ellen Schlootz), deren Sätze immer bemüht und peinlich aufgesagt klingen, weil ihr nie jemand je zuhören will. Sie prallt an der Coolness der anderen ab und sieht von Minute zu Minute älter aus. Am Rand der Bühne sitzt das Weltenkind und spielt mit den Planetenbahnen. Die Drehbühne knarzt und vermessen scheint, wer noch Hoffnung hat, in dieses mechanistische Weltgebäude eingreifen zu können.
Das Weltenkind ist eine Puppe von Kattrin Michel, die auch das Bühnenbild gestaltet hat. Großäugig und voller Mitleid ist das Puppengesicht. Wie sie seufzt, die Kleine, und sich ihr hölzerner Brustkasten hebt und senkt. Das bringt eine Seelenlandschaft in das Stück hinein, die befremdlich neben den unterkühlten Texten wirkt. Die Puppe von Julius steht manchmal in der Ecke wie ein ausgeschimpftes „Es“, während das „Überich“ sich intelligent im Sessel spreizt. Die Puppe von Marie hat sich in ihrem Kummer längst erhängt, während Marie noch eine Liebe nach der anderen ausprobiert. Sie agieren ein bisschen verräterisch, den Personen gegenüber und dem Text.
Die Dialoge von Botho Strauß – fast hätte man ihm vorgeworfen, zu nah an einer bloß ethnologischen Beschreibung der Beziehungslosigkeit im Berlin der Achtzigerjahre zu haften – stürzen plötzlich in symbolistische und expressionistische Abgründe. Manchmal gibt ihnen das Tiefe, manchmal aber auch erholen sie sich nicht wieder von dem Sturz. Die Bilder, die durch die Doppelung auf der Bühne entstehen, erinnern an die Kunst der Zwanzigerjahre, von den Dadaisten Hannah Höch, Max Ernst und dem Metaphysiker de Chirico.
Dort breitete sich das Inventar eines Maschinenzeitalters in einer Ambivalenz aus, die sowohl die Hoffnung einschloss, mit Hilfe der Technik dem Elend zu entkommen, als auch die Furcht, die Kontrolle über die Steuerung zu verlieren. Dieser Zweifel hat sich bis ins einundzwanzigste Jahrhundert geschoben und begleitet die Entwicklung der Wissenschaften bis heute. Insofern ist er aktuell. Dennoch wirken die Bilder, in die Pataki ihn fasst, seltsam anachronistisch.
Wieder am 14., 21. und 22. Februar, Kammerspiele Deutsches Theater, Schumannstr. 13 a, Mitte
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