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Immer wieder wir

Von der Unmöglichkeit, eine coole Karrierefrau zu sein, ohne schnell alt auszusehen: Katja Kullmann las bei Kiepert aus ihrer „Generation Ally“

von ALMUT KLOTZ

Dass leiseste gesellschaftliche Bewegungen genauestens verfolgt werden von sensiblen Seismographen und spitzfindigen Trendforschern, ist bekannt und kann ganz schön nerven. Da sieht man sich plötzlich mit anderen Menschen, die man nicht leiden kann oder nicht verstehen, zu einer Generation zusammengefasst. Jahrzehnte gehen, kaum dass sie vorbei sind, flugs unter dem Stichwort, das sich als das medienwirksamste durchgesetzt hatte, in die Geschichte ein.

Andererseits spürt wohl jeder gern gesellschaftliche Phänomene auf. Vor allem wenn man Gesellschaftswissenschaften studiert hat, 31 Jahre alt ist und freie Journalistin. Katja Kullmann knüpft an den Retro-Renner „Generation Golf“ von Florian Illies an und bezeichnet die weiblichen zwischen 1965 und 1975 Geborenen als „Generation Ally“ – nach der hoch neurotischen Anwältin Ally McBeal aus der gleichnamigen US-Fernsehserie.

Wie sie da so sitzt in der Buchhandlung Kiepert und mit ihren wachen Augen und ihrer flinken Stimme dem Publikum ihre Motivation zum Schreiben dieses Buches erklärt, denke ich: Mensch, diese Frau ist wirklich genau wie ihr Buch, biegsam und beharrlich. Sie redet von der Lifestyle-Pyramide, dem Global Village und dem prächtigen Zirkus der Unverbindlichkeiten, in der Mobilitätsritter und moderne Wanderarbeiter ihre fragwürdige Individualität ausleben.

Mit vielen smarten Schlagwörtern aus dem Werbejargon, gepaart mit catchy Anekdoten und auch statistischen Erhebungen, arbeitet sie sich durch ihre Autobiografie. Gern spricht Kullmann dabei in der ersten Person Plural. Wer „wir“ ist, erklärt sie denen, die nicht jeden Dienstagabend bei Vox „Ally McBeal“ einschalten: „Stellen Sie sich vor, es ist 19.45 Uhr, und Sie sitzen im Büro. Sie sind Sachbearbeiterin oder Werbekauffrau, nennen sich Office Managerin oder Team Assistant … Sie leben in einer Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern in einem passablen Viertel … Aller Wahrscheinlichkeit nach allein … Sie sind das, was man gerade noch jung nennt, auf alle Fälle erfolgreich.“ Gut, alles klar. „Wir“ sind also die Töchter des Mittelstands, für die Abitur, Studium, Praktika im Ausland und viele Partnerwechsel selbstverständlich sind. „Unsere“ Eltern schwärmen von der 68er-Bewegung und sind von „unserem“ politischen Desinteresse enttäuscht. „Wir“ sind pragmatisch, intelligent und cool und wollen einen Platz weit oben.

Der griffige feuilletonistische Stil von Katja Kullmann wird im Lauf des Abends zunehmend öde, ebenso die allzu abschreckenden Gegenbeispiele von frustrierten Müttern, die ihre Selbstverwirklichung mit Makramee-Kursen versuchen. Manchmal wirkt die Litanei über die Banalität der Lifestyle-Probleme selbst ziemlich banal. Oft treibt ihre Verzweiflung darüber aber auch hübsche Blüten. Etwa wenn Kullmann ihre Angst thematisiert, nicht up to date zu sein. Wie beim Trendgesöff Absinth: „Noch während dieses Buch geschrieben wird, süffelt die Techno-, Dichter- und Design-Avantgarde in Berlin-Mitte das Zeug, noch während es dann in Druck geht, wird der Absinth plötzlich auch auf dem Ku’damm verkauft werden.“

Für die „Generation Ally“ selbst dürfte das Buch von Katja Kullmann nicht so interessant sein, ist doch die ewige Selbstbespiegelung Bestandteil ihrer selbst. Für mich, die ich ja eher der „Generation Lindenstraße“ angehöre, ist es hoch interessant: Da kommt doch das Wort „Helferinnensyndrom“ beim Thema Geschlechterverhältnis tatsächlich nie vor. Wow! Dann muss sich doch was getan haben. Aber auch das Wort „Exzentrik“ oder „Extravaganz“ taucht nicht auf. Wie kann das sein? Und dann kommen die letzten beiden Kapitel „Körpersäfte, dicke Bäuche und prominente Wonneproppen“ und „Silikon und andere Sorgen“.

Die Autorin ist 30 geworden und stellt plötzlich fest: Hey, wenn ich jetzt ein Kind wollte, wäre ich kaum besser dran als meine Mutter. Und: Hey! Wir coolen Karrierefrauen werden von unserer Nachfolgegeneration, den professionellen Ludern, total vorgeführt. Das liest sich genauso schockierend, wie es ist. Vor allem für eine Generation, die so leichtfüßig herübergetrippelt ist ins Erfolgslager. Das ist doch interessant, oder?

Die zögerliche Diskussion nach der Lesung mit Fragen und Bemerkungen, die kulturwissenschaftlich nicht gerade auf dem neuesten Stand sind, bleibt wie eine alte Platte immer wieder bei Verona Feldbusch hängen. Zum Glück macht Moderatorin Doja Hacker vom Spiegel darauf aufmerksam, dass dies ein doch etwas klägliches Ende für diese Veranstaltung sei. Viel lieber hätte Hacker geklärt, ob man die „Generation Ally“ mit dem Satz: „Das Problem ist, ihr habt keine Biografie“ erklären könnte. Dieser Satz wird gerne Exwestdeutschen von Exostdeutschen an den Kopf geworfen. Aber ob man die „Generation Ally“ damit treffen kann?

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