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Dramatischer Brötchentrick

Der Kalifornier Jonny Moseley begeistert auf der Buckelpiste mit einem neuartigen Sprung, der Dinner Roll, bleibt aber ohne Medaille, weil Olympia offenbar nicht der Platz für Innovation ist

aus Deer Valley MATTI LIESKE

Es war ein wehmütiger Blick, den Jonny Moseley auf die drei Medaillengewinner warf, die am Fuße der Buckelpiste gerade ihre Blumenbouquets erhielten. Es war aber auch ein kurzer Blick. Dann knipste der 26-Jährige, der auf den holprigen Hügeln gerade nur den vierten Platz belegt hatte, sein notorisches Lächeln wieder an und erklärte: „Ich denke, ich habe eine erfolgreiche Kampagne hinbekommen. Es war ein langer Weg.“

Begonnen hatte dieser Weg 1998 in Nagano, wo der ebenso eloquente wie smarte US-Amerikaner Olympiasieger geworden war. Danach hatte er erst mal keine Lust mehr zum professionellen Skifahren. Außerdem war er viel zu beschäftigt. Er absolvierte die Talkshow-Tour bei Letterman, Leno und Co., er war Ehrengast bei zahllosen Partys, er posierte mit Cindy Crawford für ein Coverfoto, flog mit den San Francisco 49ers zu einem Football-Match, trat mit der Band Metallica auf, drehte einen Werbespot für McDonald’s, produzierte Ski-Videos in eigener Sache und ist sogar der Star eines Computerspiels – „Jonny Moseleys Mad Trix“. So begehrt war er nach seiner Rückkehr aus Japan, dass er sogar Präsident Clinton, der ihm gratulieren wollte, erst am nächsten Tag zurückrief. „Ich habe diese Goldmedaille bis zum Letzten ausgekostet“, sagte er vor dem Start in Salt Lake City, „die letzten vier Jahre waren eine einzige Ehrenrunde, diese Spiele sind der Zielstrich.“

Als Olympia wieder näher rückte, beschloss Moseley, es noch einmal zu versuchen, und da er sich gern als der große Innovator des Freestyle darstellt, tat er dies mit einem Knalleffekt. Schon in Nagano hatte er mit einem bis dahin nie gesehenen Sprung – dem „360 Mute Grab“, eine Drehung, während der er die Spitze seiner gekreuzten Ski anfasste – die Konkurrenz verblüfft, diesmal präsentierte er den „Dinner Roll“, eine Figur wie aus der Snowboard-Halfpipe. Den Namen erfand Moseley, als er bei einem Abendessen ein Brötchen aus dem Korb schnappte, es seinem Trainer zuwarf und befand, der Flug der Teigware sehe genauso aus wie sein Sprung. Während alle anderen Finalteilnehmer auf der sonnenbeschienenen Buckelpiste vor der spektakulären Kulisse von Deer Valley brav die traditionellen aufrechten Sprünge mit gespreizten oder gedrehten Skiern vollführen, raubte Moseleys Darbietung den 14.000 Zuschauern schier den Atem. Kaum von der Rampe in die Luft katapultiert, vollführte er eine blitzschnelle zweifache Drehung, bei der er waagerecht in der Luft lag, sauber wieder auf die Füße kam und unter dem frenetischen Jubel des Publikums die restlichen Buckel hinunterhoppelte. „So gut war mir der Sprung vorher nie gelungen, ich war sicher, ich hatte einen Goldlauf“, sagte der Kalifornier hinterher.

Pech für ihn, dass die beiden Sprünge nur je 12,5 Prozent der Wertung ausmachen, dass sich sein Brötchen am Rande der Legalität bewegt und dass die Jurys beim Freestyle, ähnlich wie im Eiskunstlaufen, Neuerungen zurückhaltend aufnimmt. „Ich war schon froh, dass sie mich nicht völlig fertig gemacht haben“, kommentierte Moseley die guten, aber nicht herausragenden Noten, „schließlich war eine Zeit lang unklar, ob sie diesen Trick überhaupt zulassen würden“. Verboten sind auf der Buckelpiste nämlich Sprünge, bei denen die Füße höher geraten als der Kopf, was sich beim Dinner Roll nicht immer vermeiden lässt.

Die Kontroverse ging nach dem Wettkampf weiter. Mit einem Blick auf die Wertungen stellte Moseley fest, dass er ziemlich sicher eine Medaille geholt hätte, wenn er einen traditionellen Sprung wie die anderen gezeigt hätte. „Aber das ist nicht mein Stil“, stellte er klar, „ich hatte es satt, das alte Zeug zu bringen.“ Da der Dinner Roll viel schwieriger sei und außerdem etwas vollkommen Neuartiges, hätte man diesen ruhig höher bewerten können. „Ich wollte mit diesem Trick Gold holen“, meinte er, mittels eines einfacheren Sprunges zu siegen, wäre ihm „schal“ erschienen.

Der neue Olympiasieger, Janne Lahtela, liegt im Prinzip auf einer Linie mit dem Konkurrenten, der ihm in Nagano nur die Silbermedaille überlassen hatte. Wenn er nicht lange verletzt gewesen wäre, hätte auch er einen neuen Trick einstudiert, erklärte der Finne, und das, was Moseley tue, sei extrem gut für den Freestyle-Sport. Der 27-Jährige, mit der Erfahrung von nunmehr vier Olympiastarts gesegnet, meinte aber auch: „Olympische Spiele sind nicht der Platz, etwas Neues zu probieren.“ Außerdem brauche es mehr als einen Sprung, um einen Wettkampf zu gewinnen. Tatsächlich fließt die Qualität der Kurventechnik um und über die Buckel zu fünfzig Prozent in die Wertung ein, die Laufzeit nur zu 25 Prozent. Und Moseley musste selbst zugeben: „Ich war langsam.“

Der überraschende Silbermedaillengewinner, Travis Mayer aus dem Staat New York, ging deutlich auf Distanz zu seinem Teamkollegen Moseley. Dessen Meinung, der Sport stagniere, wies der 19-Jährige zurück. Was Tempo und Schwierigkeiten der Pisten betreffe, habe sich seit Nagano eine Menge getan. „Jonny zieht ein bisschen sein eigenes Programm durch, er will eine Show für das Publikum machen“, sagte Mayer und kritisierte, dass Moseley fast sein gesamtes Training auf diesen einen Sprung ausgerichtet habe. Das räumt der Angesprochene durchaus ein. „Der Trick war sein eigenes Drama“, sagte er, beharrte aber darauf, dass in der Szene Fantasielosigkeit herrscht. „Vielleicht bin ich einfach am falschen Platz mit dem Versuch, kreativ zu sein.“ Bei diesen Spielen vermutlich schon, aber selbst der skeptische Travis Mayer glaubt, dass Jonny Moseley Pionierarbeit geleistet hat: „In ein paar Jahren werden die meisten solche Tricks im Programm haben.“

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