: Frost im Frühling der Zuwanderung
Einen politischen Kälteeinbruch diagnostiziert die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck in der Debatte um das Zuwanderungsgesetz. Der SPD-Experte Wiefelspütz versucht zu beruhigen: Ziel des Projekts sei nicht nur die Zuzugsbegrenzung
von LUKAS WALLRAFF
Auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung hat am politischen Aschermittwoch ihre bisher gepflegte Zurückhaltung abgelegt. Bei der Vorstellung der Ausländerstatistik 2002 redete sich Marieluise Beck ihren ganzen Frust über den Stand der Zuwanderungsdebatte von der Seele. Es sei „verantwortungslos“, schimpfte Beck, dass der Bewusstseinswandel in der Einwanderungspolitik auf Grund des bevorstehenden Wahlkampfes vom Tisch gefegt worden sei. Von dem „migrationspolitischen Frühling“, den es im vergangenen Jahr nach dem Bericht der Süssmuth-Kommission gegeben habe, sei nichts mehr zu spüren. Fast schon flehentlich appellierte Beck an die streitenden Parteien: „Lasst uns bitte wieder zurückkehren zu den rationalen Erkenntnissen.“ Wenn dies wegen des Wahlkampfs nicht möglich sei, empfahl Beck, „lieber eine Auszeit“ zu nehmen.
Als Absage an ein Zuwanderungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode wollte die Grünen-Politikerin ihre Empfehlung ausdrücklich nicht verstanden wissen. Aber besonders optimistisch klingt es nicht, wenn sie SPD und CDU/CSU vor einer „innenpolitischen Wahlkampfschlacht auf dem Rücken der Migranten“ warnt – und sich über die Forderungen nach einer strikten Begrenzung der Zuwanderung erregt. Dies sei ein „Rückfall in die alte Zeit“ und würde „Ziel und Intention des Gesetzes ins Gegenteil verkehren“. Unter Fachleuten gehöre es „zum Allgemeingut“, dass sich die demografische Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten verschärfen werde. Bis zum Jahr 2050 werde die Bevölkerung von heute 82 Millionen auf 59 Millionen schrumpfen. „Pure Begrenzung wäre ein gesellschaftlicher Bärendienst, der die mittel- und langfristigen Entwicklungen ignoriert.“
Geärgert hat sich Beck auch über SPD-Fraktionschef Peter Struck, der der Union weitere Zugeständnisse in Aussicht gestellt und die Grünen aufgefordert hatte, auf „Maximalforderungen“ zu verzichten. Struck sei offenbar „schlecht erzogen“, wenn er so mit seinem Koalitionspartner umgehe. An die Adresse der SPD sagte Beck, natürlich gebe es einen „Erklärungsbedarf“, wenn man in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit Einwanderung ermöglichen wolle. So verstehe sie auch die Äußerungen von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der in der vergangenen Woche den Vorrang für Ausbildung und Beschäftigung von deutschen Arbeitskräften betont hatte. Bei den Zugeständnissen an die Union dürfe man aber nicht zu weit gehen: „Wer das Zuwanderungsgesetz in ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz verwandeln will, der wird die Grünen-Stimmen nicht bekommen.“ Im Übrigen sei es eine „grenzenlose Selbstüberschätzung, wenn die Sozialdemokraten behaupten, sie kämen ohne uns weiter“.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, reagierte auf den Auftritt der Ausländerbeauftragten mit Verwunderung. Die Grünen sollten sich „beruhigen“. Es gebe „überhaupt keinen Grund, jetzt mit den Hufen zu scharren“, sagte Wiefelspütz der taz. Frau Beck rate er „zur Mäßigung“, weil sie „als Mitglied der Bundesregierung in einer besonderen Verantwortung“ stehe.
Als Signal an die Grünen versicherte Wiefelspütz: „Das Zuwanderungsgesetz kann niemals ein Gesetz sein, das nur Begrenzung bedeutet.“ Eine solche Formulierung werde es im Gesetzestext nicht geben. Es werde aber „drinstehen müssen, dass das Gesetz neben anderen Zwecken auch begrenzende Funktionen“ habe. Als „Vertreter einer Volkspartei“ wisse er „genau, was die Menschen im Lande denken, was sie für Sorgen haben“. Deshalb müsse man klarstellen, dass es „in den nächsten Jahren nur wenig oder keine Zuwanderung von mittel oder gering Qualifizierten“ geben werde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen