: Pathos, raumgreifend
Ein Ausweg mit Gitarre und richtigen Songs und sphärischem Geflirre: Missouri suchen heute im Knaack nach der Essenz, nach dem Sud amerikanischer Mythen
Woran soll man sich nur halten, wenn sich die Perfektion elektronischer Klangerzeugung in selbstgefällige Langweile aufzulösen beginnt, wenn die Engländer nicht mehr an Pop glauben und selbst die Sachwalter US-amerikanischer Rockmythen nur mehr den Americana-Soundtrack zum Dia-Abend von der letzten USA-Reise liefern.
Das ist jetzt ein klein wenig überdramatisiert, schließlich gibt es ja noch HipHop und Neo-Soul und andere hübsche Sachen. Aber so liest es sich besser, wenn jetzt gleich behauptet wird, Missouri würden einen Ausweg aus dem Dilemma anbieten. Einen Ausweg mit Gitarren zudem. Und richtigen Songs. Mit dramatischen Aufbau und jazzigem Spinnertum und sphärischem Geflirre und einfach halt auch nur mal Rauschen.
In seiner Gesamtheit auf Albumlänge aber ist die Lösung des Trios aus Nürnberg und Hamburg einfach: sich so intensiv der Gitarrenmusik widmen, bis schließlich kaum noch was von ihr übrig bleibt. Übrig bleibt etwas, was man dann Destillat nennen kann, der Sud von Americana, wahlweise aber auch einfach sturzlangweilig. Oder, das liegt ja oft nah beisammen: genial.
Solche Ideen haben in den letzten Jahren auf dem Hamburger Label XXS Records eine Heimat gefunden. Dort veröffentlichten früher einmal Fink ihre ersten Versuche von deutschem Country. Bands wie Staub aus Ulm, bei denen Kinderzimmer-Productions-Rapper Textor den Bass spielt, erkunden das musikalische Nichtstun. Melomane aus New York machen wundervollen Gitarrenpop. Veranda Music haben mit ihrem ironischen Ansatz beim gutbürgerlichen Feuilleton ihre Fans gefunden, und auch Missouri sind von der FAZ schon gelobt worden.
Im Vergleich zu Veranda Music allerdings sind Missouri bei weitem nicht so fein ziseliert, sondern eher bodenständig, der konsequenteste Wurmfortsatz dieses Entwurfs der Aneignung. Das raumgreifende Pathos der wildwesternden Ursprünge sind noch vorhanden, auch wenn die Struktur der Musik bis zur Unkenntlichkeit verlangsamt wird. Die Stimme des Sängers, der sich Red nennt, erinnert zwar an Lloyd Cole, weist aber jede kommerzielle Verwertbarkeit von sich. Versatzstücke wie Mundharmonika künden von lagerfeuerbeschienenen Klischees, aber gesungen wird: „New we’re too old for sex and parties“.
Diese Ambivalenz führt direkt zu einer Interpretation, die die Vorbilder nicht nur nachbetet, sondern sie sich einverleibt. Das wurde dort, wo die Originale herstammen, positiv vermerkt: Granfaloon Bus, selbst Americana-Großmeister, haben sich als Missouri-Fans geoutet und mit unseren Helden eine Split-Single aufgenommen. THOMAS WINKLER
Morgen im Vorprogramm von Granfaloon Bus, 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen