: „Warum ich drei Rollen spiele“
Ein Gespräch mit Avi Mograbi über seinen Film „August“, die Lage in Israel und das Verhältnis von Kritik und Kino
taz: Mr. Mograbi, am Anfang Ihrer semifiktionalen Dokumentation „August“ zeigen Sie Benjamin „Bibi“ Netanjahu nach der Verkündung seines Rücktritts, am Ende das nervöse Blinzeln Arik Scharons. Aber eigentlich handelt ihr Film von der Ära Barak.
Avi Mograbi: Ich sehe „August“ weniger als einen Film über eine bestimmte Ära. Das meiste Material stammt zwar aus der kurzen Regierungszeit Baraks, nach dem Camp-David-Gipfel und vor der Intifada, aber es kostete mich erst einige Zeit zu erkennen, wofür ich überhaupt auf die Straße gegangen war und dort gefilmt habe. Die Themen meiner Filme entwickeln sich eher prozessual aus dem gefilmten Material. Es schmerzte mich anfangs, zu sehen, dass „August“ bei seiner Fertigstellung keinerlei Aktualitäten mehr schilderte. Erst langsam merkte ich, dass er hochaktuell geblieben ist. Er zeigt die aktuelle Stimmung im Land.
Der Zeitpunkt des Drehs jedenfalls bleibt für den Zuschauer vage. Der Film offenbart eine fast groteske Paranoia in der israelischen Bevölkerung. Erste Anzeichen dieser Paranoia waren schon in Ihrem letzten Film „Happy Birthday, Mr. Mograbi“, Ihrer Parabel auf die israelische Siedlungsgeschichte, zu erkennen. Aber die Stimmung in „August“ ist deutlich aggressiver geworden. Wovor haben die Menschen Angst, wenn Sie mit ihrer DV-Kamera wie ein Tourist durch Tel Aviv laufen?
Ich denke, dass die Israelis inzwischen sehr für die Repräsentation ihrer Realität sensibilisiert worden sind. Die Menschen haben sich heute eine ganz eigene Definition von Realität zurechtgelegt, um mit den Widersprüchen im eigenen Land überhaupt leben zu können. Sie wollen nicht erkennen, dass der Ursprung des Konflikts tatsächlich in der Besetzung der palästinensischen Gebiete liegt. Das Absurde an dieser Situation war, dass die Leute auf der Straße die Realität nicht verzerrt dokumentiert sehen wollten, die Art, wie sie auf meine Kamera reagierten, aber dazu führte, dass ihre Wirklichkeit genau so porträtiert wurde, wie sie es gerade nicht beabsichtigt hatten. Sie lieferten mir das Material, das sie eigentlich vermeiden wollten.
Ihre letzten Filme waren alle sehr selbstreflexiv. Sie spielen sich selbst, zum Teil in mehreren Rollen, lassen den Zuschauer am Entstehungsprozess und Ihren Gedankengängen teilhaben, vermischen Ihren Film mit Spielszenen und erzeugen so interessante und ironische Rückkopplungseffekte.
Ich habe anfangs selbst nicht ganz verstanden, warum ich in „August“ die drei Rollen – meine Frau, meinen Produzenten und mich selbst – spiele. Es entstand mehr aus der Situation heraus. Erst die Intifada hat mir klar gemacht, warum genau das der richtige Weg ist. Es ist ja nicht so, dass ich beim Filmen die Welt in „Gut“ und „Böse“ einteile. Ich sehe mich selbst immer als Teil dieser unschönen Wirklichkeit, schließlich partizipiere ich daran in meinen Filmen. Die Idee dieser Dreispaltung war, zu zeigen, dass wir alle Verantwortung an der Situation in Israel tragen – nicht nur die Regierung, nicht nur die Siedler – und dass wir alle irgendwann für diese Politik bezahlen werden.
Die ganze Situation Israels ist schizophren.
Ja, sicher. Ganz simpel: Ich sympathisiere mit den Anliegen der Palästinenser, andererseits bin ich das potenziell nächste Opfer eines Terroranschlags. Wie soll ich damit leben?
Ihre Filme wirken trotz ihres fragmentarisches Charakters sorgfältig durchgeplant. Und eben meinten Sie, dass Sie am Anfang des Drehens nicht wüssten, zu welchem Resultat Ihre Arbeit führen wird.
Wenn Sie von mir eine Kritik der israelischen Siedlungspolitik hören wollen: Da bin ich präpariert. Aber wenn Sie von mir verlangen, Gedichte zu schreiben, muss das erst entwickelt werden. Kritisch zu sein ist nicht mein Problem. Die Schwierigkeit liegt darin, poetisch zu werden. Es braucht Zeit, meine politische Haltung in eine kinematografische Form zu bringen.
Wie werden Ihre Filme in Israel rezipiert? Als antizionistisch?
Nein, die meisten israelischen Filmkritiker sind links oder linksliberal. Ich bin auch kein Antizionist. Alles, was ich versuche zu sagen, ist, dass Israels Palästina-Politik den Terror nur provoziert. Es liegt in ihren Händen, den Konflikt zu beenden. Am Anfang muss der Rückzug aus den besetzten Gebieten stehen. INTERVIEW: ANDREAS BUSCHE
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