Sozialbeiträge ausgeflaggt

Gleichheit auf dem Prüfstand: Bundesverfassungsgericht soll klären, warum ein deutscher Seemann gleichzeitig Ausländer ist  ■ Von Kai von Appen

Wenn es darum geht, Steuervorteile auszuloten, erhalten gewisse Branchen oft großzügige Hilfe. So schuf die frühere Bundesregierung unter Helmut Kohl für die bundesdeutschen Reeder die Möglichkeit, Schiffe auszuflaggen, was für die betroffenen deutschen Seeleute zu erheblichen sozialen Einbußen führte. Zwar ist seit Anfang 2001 das „Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung eines kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens“ in Kraft, das dieses Steuer-Schlupfloch wieder schließen soll. Doch abgeschlossen ist das Kapitel noch nicht. Durch eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe will das ostfriesische Ehepaar Antje und Herbert Poelmann aus dem Kreis Leer die soziale Ungerechtigkeit in höchster Instanz durch das Bundesverfassungsgericht (BVerG) nachträglich aufheben lassen.

Hintergrund des Konfliktes war die Änderung des Flaggenrechts in den 80er Jahren, die es den Reedern erlaubte, Kosten und Steuern zu sparen, aber dennoch in einem deutschen Schiffsregister zu bleiben. Dies nutzten auch die Hamburger Reedereien „Fisser & van Doornum“ sowie „Kompass“: Deren Motortanker „Bonaire“ und „Antigua“, auf denen Herbert Poelmann als technischer Offizier arbeitete, gehörten offiziell ihrer Partenreederei (ein Steuermodell, bei dem auch Privatleute anteilig an einem Schiff beteiligt sind, d. Red.) „Bonaire & Antigua“ (B&A) mit Sitz in Hamburg. Die B&A vercharterte 1987 die Schiffe an die „Bonaire Navigation Ltd.“, eine Briefkastenfirma der „Kompass-Reederei“ mit Sitz auf Zypern, und flaggte sie nach Paragraph 7 Flaggengesetz offiziell aus. Dennoch blieben die „Bonaire“ und die „Antigua“ im deutschen Zweitregister eingetragen.

Nun vercharterte „Bonaire Navigation“ die beiden Tanker wieder an die Eigentümerin B&A zurück. Die Besatzung jedoch wurde entlassen und an die „IC Management Ltd.“ vermittelt, eine Briefkastenfirma, deren Inhaber ein „Fisser & van Doornum“-Angestellter war. „Bonaire Navigation“ schloss dann einen Crewingvertrag mit „IC Management“ , die die Besatzung für die „Bonaire“ und „Antigua“ anheuerte. Fortan bekam Poelmann seine Heuer von der „IC Management“, obwohl er auf Schiffen der B&A-Reederei Hamburg fuhr.

Dieses Konstrukt hatte für ihn fatale Folgen: Einerseits musste Poelmann als deutscher Seemann mit deutschem Wohnsitz und deutschem Arbeitgeber Einkommenssteuer zahlen, andererseits fiel er aber als „ausländischer Arbeitnehmer“ aus dem Sozialversiche-rungssystem. Poelmann wurde die Aufnahme in die Seeberufsgenossenschaft als Unfallversicherer verweigert, er musste sich wie ein Selbständiger kranken- und rentenversichern. „Mein Mann war nicht freiwillig freiwillig versichert, sondern zwangsweise freiwillig versichert“, bringt es Antje Poelmann, aktiv im Verband der Seemannsfrauen, auf den Punkt. „Das wäre zu kompensieren gewesen“, sagt Poelmann, wenn nicht die Einkommenssteuer gewesen wäre. Hier argumentierte das Finanzamt nicht unplausibel und sagte sinngemäß: Ein Briefkasten kann schlecht ein Arbeitgeber sein.

Poelmann klagte vor dem niedersächsischen Finanzgericht. Oh-ne Erfolg. Zwar sahen auch die Hannoveraner Richter den Widerspruch zwischen deutschem Steuerrecht und deutscher Sozialpolitik, von der Steuerlast wollten sie die Seemannsfamilie aber nicht entbinden. Und auch der Bundesfinanzhof bestätigte im Herbst 2001 trotz intensiver Erörterung in der mündlichen Hauptverhandlung das Urteil, ohne „die kontroversen Erörtungen in der Verhandlung überhaupt in die Urteilsbegründung einfließen zu lassen“, wie der Bremer Fachanwalt für Steuerrecht, Wolf Grezesch, beklagt.

Der Leeraner Arbeitsrechtsanwalt Rene Henkys geht einen Schritt weiter: Er sieht in dem Richterspruch den verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz verletzt und reichte Verfassungsbeschwerde ein: „Das niedersächsische Finanzgericht hat festgestellt, dass die deutsche Partenreederei (die B&A, d. Red.) die Kosten für die Mannschaftsgestellung der ,Bonaire Navigation' in ihrer Bilanz/Gewinn- und Verlustrechung berücksichtigt hat“, begründet dies Henkys. „Sollte sie tatsächlich Arbeitgeber sein, so wäre der Beschwerdeführer schließlich auch deutscher Arbeitnehmer mit entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Rechten und Pflichten gewesen.“

Sollte Karlsruhe dieser Argumentation folgen und einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz feststellen, bringt es dem mittlerweile pensionierte Poelmann vermutlich nur noch ein paar Steuermark zurück. Für die bundesdeutschen Reeder könnte dies allerdings einschneidende Folgen haben. Da es sich dann um eine „vorsätzliche Umgehungstat“ handeln könnte, könnten die betroffenen Seeleute laut Henkys für vier Jahre rückwirkend ihre Sozialabgaben bei den Reedern geltend machen.

Auch wenn die Interessenkollision zwischen Steuerrecht und Sozialrecht durch Gesetzesänderung auf dem Papier aufgehoben ist, „machen die Reeder nach wie vor, was sie wollen“, sagt Kapitän Frank Müller von der Gewerkschaft ver.di. „Es sind immer noch mehr als 1000 Seeleute betroffen.“ So arbeiteten auf dem ausgeflaggten Luxusliner „Europa“ der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd von den 450 Crewmitgliedern nur 70 zu deutschen Tarifbedingungen, der Rest sei offiziell über die zypriotische „Columbia Shipping Management“ angeheuert worden.