: Schräges am Individuum aufscheinen lassen
■ Direkt von der Berlinale nach Hamburg: Monika Treuts „Kriegerin des Lichts“
Manchmal tappt der engagierte Film in die Falle der Tragödie. Steven Frears etwa nahm jüngst in Liam einen irischen Familienvater, der sich im Liverpool der 30er den Nazis anschließt, aus der Verantwortung, indem er noch seine grausamsten Taten aus Armut und Diskriminierung heraus tragisch sich entwickeln ließ. Monika Treut nimmt das Individuum nie aus der Verantwortung. Von ihm ausgehend hat sie auf Gesellschaftliches immer schon nur beiläufig verwiesen, es durch Schräges, Verqueres und Paradoxes am Einzelnen aufscheinen lassen. Wie diese Leute durch die Welt laufen, das konnte den Zuschauern von Filmen wie Die Jungfrauenmaschine oder Gendernauts dabei immer als mutiges Eintreten für eine Sache einleuchten.
Es ist kein Bruch in ihrer bisherigen Arbeitsweise, wenn Treut jetzt stattdessen eine Frau porträtiert, deren Mut in eine ganz andere Richtung geht. Yvonne Bezerra de Mello ist eine Kriegerin des Lichts. Von diesem Titel abgesehen hat jedoch Treuts Dokumentation mit mythischer Verklärung nichts zu tun. De Mello ist Künstlerin, macht Skulpturen aus Stein, noch dazu ist sie reich, seit sie den Besitzer einer Hotelkette geheiratet hat. Und sie engagiert sich für die Straßenkids von Rio de Janeiro.
Kommentarlos begleitet das Kamerateam um Elfi Mikesch und Treut jene Frau, die nach jahrelanger Arbeit in den Favelas der Stadt 1993 plötzlich weltbekannt wurde. Nachdem eine nächtliche Polizeistreife auf eine größere Gruppe auf der Straße schlafender Kinder geschossen und acht von ihnen ermordet hatte, bekannt geworden als das Massaker von Candelaria, wurde de Mello telefonisch von den Überlebenden benachrichtigt. Sie blieb dann die ganze Nacht bei ihnen und leistete Hilfe, bis Stunden später der Rettungsdienst – und schließlich auch Fernsehkameras – eintrafen.
Von der brasilianischen Mittel- und Oberschicht wird de Mello angefeindet, niemand will dort erinnert werden an das Drittel vorwiegend schwarzer Ultra-Armer der Gesamtbevölkerung der Stadt. Und die Kinder, denen das von de Mello ins Leben gerufene Projekt Uerê etwas zu essen, medizinische Versorgung und Bildung besorgt, sehen sie bloß als nachwachsende Drogendealer an. Bemerkenswert an Yvonne Berarra de Mello ist vor allem, wie unprätentiös sie davon, von ihrem Engagement, aber auch vom Umgang mit querschießenden Kugeln berichtet. Neben ihr kommen vor allem die Straßenkids selbst in Kriegerin des Lichts ausführlich zu Wort. Das macht das Bild der portätierten Frau schärfer, ein Schuft, wer ihr Gutmenschentum vorwirft. Sie hat sich einfach entschieden – mag ihr Leben auch paradox sein.
Christiane Müller-Lobeck
Premiere (mit Monika Treut und Yvonne Bezerra de Mello): Sonntag, 17.15 Uhr, Abaton; danach Eröffnung der Fotoausstellung Sebastian Hartz, Rio/Maremit Fotos von den Dreharbeiten, Galerie 22, Bornstraße
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