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Trockenen Fußes durch die Klimakatastrophe

■ Hamburg mauert sich unverdrossen ein: Mit immer höheren Deichen gegen immer höhere Fluten

Das Wasser steigt. 100 Jahre lang hatten die Hamburger keine Sturmflut mehr erlebt, die den Elbpegel auf mehr als fünf Meter über Normalnull steigen ließ. Nach der Flut 1962 wurde diese Marke zehnmal übertroffen. Seither baut Hamburg immer höhere Deiche und wundert sich, warum die Sturmfluten in immer gewaltigeren Ausmaßen gegen die Stadt anbranden.

Sorgenvoll stimmt dabei, dass die Elbvertiefungen dieses Jahrhunderts eindeutig mit sprunghaften Änderungen im Tidenhub korrespondieren. Aus dem Beweissicherungsbericht, der für die jüngste Elbvertiefung 1999 erstellt wurde, geht hervor, dass das Mittlere Tiedehochwasser (MThw) am Pegel St. Pauli im vergangenen Jahrhundert um 50 Zentimeter stieg, während das Mittlere Tideniedrigwasser (MTnw) um gut einen Meter sank. In die Zeit seit den drei aufeinanderfolgenden Vertiefungen um 1960 sowie Mitte der 70er und Mitte der 80er Jahre fielen überdies die schlimmsten Sturmfluten.

Glaubt man den Fachleuten der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), dürfte zumindest die jüngste „Fahrrinnenanpassung“ 1999 kaum Auswirkungen auf künftige Sturmfluten haben. Die Wissenschaftler simulierten am Computer die schwere Sturmflut von 1976, die vom Januar 1994 sowie eine hypothetische Sturmflut unter Annahme einer vertieften Elbe. Danach dürfte der Scheitelwasserstand um höchstens 2,5 Zentimeter und die Verweildauer der hohen Wasserstände um höchstens zwei Prozent steigen.

„Man erkennt deutlich, dass die ausbaubedingten Veränderungen mit größerem absolutem Wasserstand abnehmen“, heißt es in einem Gutachten der BAW im Rahmem der Umweltverträglichkeitsuntersuchung. Je höher das Wasser steigt und je größer der Wasserkörper damit ist, desto geringer ist der Einfluss einer tieferen Elbe.

Als gefährlich dürfte sich nach Ansicht von Wissenschaftlern dagegen der durch den erhöhten CO2-Ausstoß der Menschheit bedingte Treibhaus-Effekt erweisen. „In etwa 50 bis 100 Jahren wird es nicht nur mehr Stürme geben, sondern auch stärkere“, sagt Mojib Latif vom Hamburger Max-Planck-Institut für Klimaforschung. In 100 Jahren werde die Temperatur auf der Erde um mindestens zwei Grad gestiegen sein. Latif: „Dann ist die Erwärmung so groß, dass ein deutlicher Effekt auf die Sturmaktivitäten zu erleben sein wird.“

Dazu komme ein Anstieg des Meeresspiegels um einen halben Meter bis zum Ende des Jahrhunderts. Entgegen der landläufigen Meinung werde er nicht durch das Abschmelzen der Polkappen bewirkt, sondern durch die Erwärmung des Wassers, die dazu führt, dass es sich ausdehnt, sagt Hans von Storch, Leiter des GKSS-Instituts für Küstenforschung. Storch und andere Küstenforscher schlagen vor, darüber nachzudenken, bei Jahrhundertfluten Teile der Marsch voll laufen zu lassen, statt immer höhere Deiche zu bauen. Auch ein Sperrwerk bei Cuxhaven sei für Notfälle bedenkenswert.

Karsten Reise vom Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung hält deshalb die Proteste gegen die Zuschüttung des Mühlenberger Lochs für gerechtfertigt. Die Menschen nutzten die Flusslandschaften zu intensiv. „Die Küste ist eng geworden“, sagt Reise.

Unterdessen umgibt Hamburg den Strom mit gigantischen Wällen und Sperrwerken. Bis 1962 waren die Deiche gut 12 Meter breit und fast sechs Meter hoch. Danach wurden sie auf gut sieben Meter erhöht und auf fast 43 Meter verbreitert. Bis 2007 will sie der Senat für rund eine Milliarde Mark auf eine Höhe von 8 bis 8,5 Metern bringen. Der Deichfuss muss dann auf knapp 54 Meter wachsen – die doppelte Breite einer Autobahn. Dabei wird der Deich der Situation vor Ort angepasst. Vor dem Airbus-Werksgelände im Mühlenberger Loch soll er die stolze Höhe von 9,20 Metern erreichen. Gernot Knödler

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