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Langlauf im deutschen Urwald

Der Winter steht dem Bayerischen Wald besonders gut. Stille und Idylle unter verschneiten Wipfeln

Die Arberwand trägt einen gläsernen Bart. Wohl dreihundert Meter lang hängt er über ihre granitenen Wangen, und seine Spitzen stechen in den See. Auch der ist vollständig zugefroren, luftdicht versiegelt mit einem Deckel aus Eis. Rundum ziehen sich schneebestäubte Wälder die Hänge hinauf wie in einer riesigen Arena, die bis auf den letzten Platz mit Bäumen besetzt ist. Kein Laut ist zu hören, nur ein sachtes Wehen in der Luft. Wie auf einer japanischen Tuschzeichnung sind alle Farben aus der Welt gewichen.

Der Winter steht dem Bayerischen Wald besonders gut. Er passt zum herben, harten Naturell dieses steinalten Gebirges. Von ungeheuerlichen Erdkräften gestaucht und gehoben, in Äonen wieder abgetragen, verpassten ihm die Eiszeiten den letzten Schliff. Als hätte es Granit gehagelt, liegen überall Felsbrocken im Wald, hausgroße Blöcke manchmal, von Moos und Flechten bedeckt. Die Bäume schlingen ihre Wurzeln um sie, als wollten sie Saft daraus pressen. Die Reiche des Organischen und Anorganischen durchdringen sich. An einigen Steilhängen wächst noch Urwald, in den seit Generationen nicht mehr eingegriffen wurde.

Was stirbt, bleibt stehen, was fällt, bleibt liegen. So etwa an den Flanken des 1.312 Meter hohen Falkensteins, der sich südöstlich des Arbers erhebt und bereits zum Nationalpark Bayerischer Wald gehört. Drüben im Böhmerwald schließt sich dann noch der Nationalpark Umava nahtlos an.

Auf Skiern steigen wir bergan, hinein in wallende Hochnebel. Folgen einem Bachlauf, der sich durch pralle, makellos weiße Schneekissen schlängelt. Die Bäume stehen wie mit Zuckerwatte überzogen. Tierspuren queren den Weg: von Baummardern und einem Hasen. Oben auf dem Kamm dann eine Kette tellergroßer Stapfen, dicht an dicht. Nirgendwo sonst in Deutschland findet man solche Fährten – hier hat ein Luchs sein Revier.

Schließlich öffnet sich eine große, ovale Lichtung. Ein Schachten, wie die Waldweiden hier heißen, auf die über Jahrhunderte hinweg das Vieh getrieben wurde, die jetzt jedoch langsam wieder zuwachsen. Knorrige Buchen ragen als Schemen aus der weißen Weite. Durch die Luft hallt der Funkverkehr der Kolkraben, die pechschwarz um die Wipfel kreisen. Sie brauchen sich um Grenzen nicht zu scheren. Uns jedoch weist wenig oberhalb ein Schild darauf hin, dass hier Deutschland endet und Tschechien beginnt. Von der Loipe auf der Forststraße zweigt eine weitere ab, deren Benutzung ausdrücklich dem Bundesgrenzschutz vorbehalten bleibt. Tag für Tag patrouillieren die Beamten hier entlang der grünen oder vielmehr weißen Grenze und achten auf verräterische Spuren.

Bei einem Loipennetz von über 2.000 Kilometer Länge fällt der Verzicht auf diese eine Bahn leicht. Für Langläufer bildet der Bayerische Wald eines der reizvollsten Gebiete in Deutschland, die Hochlagen bieten mitunter Schnee bis in den Mai. Daneben gibt es, vor allem rund um den Arber, auch mehrere alpine Abfahrten.

Wer nicht gleich die Bayerwaldloipe in Angriff nimmt, den 150 Kilometer langen Königsweg vom Arber bis zum Dreisessel, auf dem man von Waldhaus zu Waldhaus schnürt, für den stellt sich die Quartierfrage. Wo es sich behaglich machen? Kein Problem bei 116.000 Gästebetten, viele davon in preiswerten Privatquartieren. Wobei es ausgesprochene Wintergourmets geben soll, die den Wechsel von Wohnen und Wandern regelrecht zelebrieren. Die schon Monate im Voraus nicht allein das Hotel buchen, sondern gleich noch Massagetermine und diskrete Stunden im Schönheitssalon. Und zwar unter der ebenso programmatischen wie wahrhaftigen Adresse Im Himmelreich 13. Dort in Lam, dem Hauptort des Lamer Winkels, befördert das Steigenberger-Hotel die Wechselwirkungen von Außen- und Innenwelt. Es verbindet den Winterzauber des Gebirges mit den Wonnen seiner Thermen und die Entbehrungen des Tourengehens mit den Gaumenfreuden seiner Küche.

Vom Balkon aus schweift der Blick über das Tal des Weißen Regens, hinauf zum schroffen Osser und hinüber zum massigen Arber. Direkt von der Haustür geht es auf die Hochloipen von Scheiben und Brennes oder in kurzem Transfer zu anderen Skigebieten. Und nach vollbrachter Strecke in die Blockhaussauna, ins dampfende Außenbecken, ins Sprudelbad.

Wen vorhin noch fröstelte, der lässt sich nun eine Fangopackung verpassen, ein Heizkissen aus Heilschlamm und Paraffin, in das man wie eine Mumie eingewickelt wird. Danach hat der Masseur – „Sie liegen ja schon griffbereit da“ – leichtes Spiel. Er knetet, presst und walkt mit Nachdruck – „Das senkt den Toooonus, das löst die Spannung“ –, bis selbst versteinertes Fleisch wieder lebendig wird. Zu guter Letzt verpasst er einem – „Sooo, eine kleine Erfrischung“ – noch eine Abreibung mit Franzbranntwein.

Warm werden, weich werden, zart werden, stark werden. Der Rhythmus macht’s, das Pulsieren von Aktivität und Faulheit. Erst Gipfelsturm, dann Festschmaus. Mal bei Joga und Qi Gong sich in sich selbst versenken, mal auf der Winterwanderung zum Einödhof eine Schneeballschlacht anzetteln. Heute daheim bleiben und ungeniert mit seiner Zeit aasen, morgen die Grenzerfahrung im hoteleigenen Hochseilpark suchen, einem Kletterlabyrinth mit schwankenden Hängebrücken und zehn Meter hoher Schaukel. So kann man gerade in Deutschlands kältester Region dem inneren Winter ade sagen.

STEFAN SCHOMANN

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