: Das wilde Nachtleben
Zurück zur Geschichte und rein in die Klischeefalle: Das Manhattan Musical Theatre zeigt „Cabaret – die Story“ im BKA-Luftschloss mit unablässig kreischenden Showgirls, die pausenlos ihre halb nackten Hinterteile kreisen lassen
Es hätte spannend werden können, das neu aufgelegte Musical „Cabaret“, wenn man wirklich einen Remix 2002 gewagt hätte, wenn man sich für eine Inszenierung entschieden hätte, die der Entstehungszeit des Plots treu bleibt und trotzdem in der Gegenwart ankommt. Wenn man die im „Cabaret“-Stoff angelegten Geschichten – die viel erzählen könnten über Grenzverschiebungen sexueller Identität, über Käuflichkeit und den Eros der Macht -– entstaubt hätte. Doch das passiert nicht.
Stattdessen plätschert „Cabaret – die Story“ von Jeffrey Dunn so hübsch beliebig dahin, dass es einem um die Leistung der Darsteller schade ist. Am Montag hatte das Stück, eine Gastproduktion des Manhattan Musical Theatre, im BKA-Luftschloss Premiere. Die adrett angezogenen, gekämmten Menschen im Publikum (weiße Blusen, goldbestickte Bolerojäckchen und einer, der aussah wie Siegried und Roy, mit Cowboyhut) klatschten zwar nach jeder Szene ordentlich in die Hände, im Stimmungspegel gab es aber weder Höhen noch Tiefen, kein Johlen, Buhen, Pfeifen oder sonstige Zeichen gesteigerter Anteilnahme.
Es war so, als hielte irgendwo jemand ein für alle sichtbares Schild mit der Aufschrift „Applaus“ in die Runde. Ein müdes Publikum für eine müde Show. Regisseur Jeffrey Dunn betont in einem doppelseitigen Erlebnisbericht im Programmheft, wie toll er das 1966 am Broadway uraufgeführte Musical findet und wie sehr die 1972 gedrehte, entpolitisierte Hollywoodversion davon abweiche. Und dass er wieder zurückgehe zum Ursprung der Geschichte nach den Berlinromanen des Amerikaners Christopher Isherwoodum um den jungen amerikanischen Dichter Clifford und das englische Showgirl Sally im Berlin der frühen Dreißigerjahre. Da gibt es nicht nur die ausschweifenden Kabarett-Nächte im Kit Kat Club, der ein besseres Puff ist, sondern auch die Verelendung und den immer deutlicher werdenden Judenhass auf der Straße.
In Dunns Bühnenversion allerdings klebt die „authentische“, durch den Film mit Liza Minelli bestens bekannte Geschichte so sehr an den üblichen Klischees – vom „wilden“ Nachtleben, in dem die unablässig kreischenden Showgirls ihre halb nackten Hinterteile kreisen lassen, vom naiven jüdischen Obsthändler, der an „Lausbubenscherze“ glaubt, als SA-Männer ihm die Fenster einschlagen, und von der dümmlichen Diva, dass man sich fragen muss, wie es überhaupt zu dieser Inszenierung kommen konnte. JANA SITTNICK
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen