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Wohnen auf Mindestdichte

■ Das Steintor gilt als Vorbild für eine Neuorientierung in der Stadtplanung: Zurück zu mehr Mischgebieten, Randbebauung und kleinen Einheiten

Wer in Bremen schon mal nach einer Wohnung gesucht hat, kennt es: Im Viertel muss man etwas mehr Geld auf den Tisch legen. Sind die Bremer Mieten im Bundesvergleich eigentlich eher moderat, erreichen sie im Steintor spielend Hamburger Niveau. Woran liegt's, dass das Wohnen zwischen Sielwall und Stader Straße so attraktiv ist? Dieser Frage geht das Bremer Stadtplanungsbüro Protze + Theiling nun systematisch nach – unter anderen, denn das Steintor ist nur eines von vielen Untersu-chungsgebieten im Rahmen des bundesweiten Forschungsprojektes EVALO.

Das Kürzel, das so schön griffig nach Evaluierung klingt, steht für „Eröffnung von Anpassungsfähigkeit für lebendige Orte“ – nicht gerade ein erklärender Titel. Dennoch, auch für den Laien lässt sich daraus das Ziel der Forscher erahnen: Sie wollen herausfinden, was Städte lebendig macht und welche Strukturen sich gewandelten Lebensformen anpassen können. Was die Stadtplanung in den vergangenen 50 Jahren insgesamt hervorgebracht hat, schneidet da ziemlich schlecht ab. Die EVALO-Forscher reden deswegen auch von einer „Krise der Stadtplanung“.

Nach dem zweiten Weltkrieg galt das städtebauliche Dogma der „Entmischung“: Wohnen und Gewerbe wurden fein säuberlich getrennt, am liebsten auch noch der Verkehr vom übrigen Leben isoliert. Die Folge sind unwirtliche, gesichtslose Schlafstädte und unzugängliche Gewerbegebiete, die abends veröden. Bei Veränderungen der Sozial- und Wirtschaftsstruktur sind solche monostrukturellen Gebiete besonders krisenanfällig, aber auch im täglichen Gebrauch fühlen sich die Menschen einfach nicht wohl darin.

„Eigentlich dürfte es unser Projekt gar nicht geben“, witzelt Verkehrsplaner Helmut Holzapfel von der federführenden Gesamthochschule Kassel. Schließlich seien sie „Nestbeschmutzer“. Aber das Bundesforschungsministerium hat trotzdem 2,3 Millionen Euro bewilligt. Dafür soll das EVALO-Team in den nächsten Jahren Vorschläge für eine bessere Stadtentwicklung erarbeiten. Obwohl die Untersuchungen einzelner Gebiete in neun Städten noch am Anfang steht, zeichnen sich erste Tendenzen schon ab. Die Empfehlungen werden wohl auf eine Rückbesinnung auf historische Siedlungsformen hinauslaufen: Mischgebiete stehen bei den Forschern hoch im Kurs.

„Wir haben schließlich nicht mehr das laute Gewerbe des Mittelalters“, sagt Bildungsforscher Johannes Beck erklärend, der für die Bremer Uni am Projekt beteiligt ist. Und zurück zur Blockrandbebauung möchten die Planer: Ran an die Straße müssten die Häuser, nicht zurückversetzt stehen, dann würden auch die Straßen wieder wohnlicher. Das Gleiche gilt für öffentliche Plätze: „Wir fangen immer an über das Kunstwerk in der Mitte zu diskutieren“, schimpft Holzapfel, „dabei bekommt der Platz sein Leben von den Geschäften am Rand.“ Und nach Jahrzehnten der Entkernung nach dem Motto „Licht und Luft gibt Saft und Kraft“ geht die Tendenz in den Städten nun wieder in Richtung Verdichtung: „Wir überlegen sogar, Mindestdichten vorzuschlagen“, sagt Holzapfel.

In Tübingen untersucht EVALO einen Versuch, heute wieder nach den alten Prinzipien zu bauen: In der Südstadt wurde ein Kasernengelände der französischen Armee in kleinste Parzellen aufgeteilt und Privatleuten zur Entwicklung gegeben – mit der Auflage, im Erdgeschoss jeweils Gewerbe unterzubringen. Die Erfahrungen zeigen, dass gerade das persönliche Verantwortungsgefühl von Privatleuten zu einer interessanten Gewerbemischung führte. Die Eigentumsfrage ist für die EVALO-Leute der Schlüssel zu einer stabilen Mischstruktur: „Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, sich von großen Entwicklungsträgern zu verabschieden“, sagt der Tübinger Stadtplaner Andreas Feldtkeller, denn unter denen gebe es regelrechte kulturelle Differenzen. Entweder könnten sie Gewerbe entwickeln oder Wohnungsbau, selten beides – eine Trennung, die sich unseligerweise in den Bauverwaltungen fortsetze. Beck hatte zur Illustration ein Bremer Beispiel parat: „Der Technologiepark an der Universität war eigentlich auch als Mischgebiet geplant“, aber herausgekommen sei ein reines Gewerbegebiet. „Das ist nachts vollkommen tot, deswegen wird da ständig eingebrochen.“

Jan Kahlcke

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