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Ein festes Bündnis mit dem Glück

„Ich bin sehr böse mit der AOK Berlin“: Seit Herr Khan-Bui-Van seinen Gästen vom Kampf mit den Versicherungen erzählte, hat sich sein „Thai-Asia-Bistro“ zu einem wichtigen Treffpunkt für Versicherungsgeschädigte und -beleidigte aller Art entwickelt

In Ralphs Allianzbüro hieß es: „Kein Anschluss unter dieser Nummer“Sie schmissen ihn aus der KSK wegen unkooperativem Verhalten

von LILLI BRAND

„Das ist aber ein schöner Laden geworden“, meinen die Anwohner zum Besitzer des „Thai-China-Bistro“ in der Liebenwalder Straße 4 im Wedding. Herr Khan-Bui-Van hat jedoch noch viele Anlaufprobleme: „Der neue Laden läuft noch nicht so gut.“ Und dann hatte er auch noch gerade großen Ärger mit seiner Versicherung. Er war 1988 von Vietnam nach Ostberlin gezogen, wo er bei der Reichsbahn arbeitete. 1993 wurde er arbeitslos, zwei Jahre später machte er sich in Oranienburg mit einem Imbissstand selbstständig. Wenig später kam noch eine Textilverkaufsstelle dazu. Seine Frau, Bu-Thei-Kim, half ihm. Sie war 1993 nach Deutschland gekommen und hatte hier zunächst Asyl beantragt, 1998 jedoch Khan-Bui-Van geheiratet – in der vietnamesischen Botschaft Berlins. Daraufhin stellte man ihr eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis aus, die jedoch alle fünfeinhalb Monate verlängert werden musste. In den folgenden Jahren bekam sie zwei Kinder.

Seit 1995 war die Familie bei der AOK in Brandenburg krankenversichert. Frau Bu-Thei-Kim litt unter starkem Gewichtsverlust und musste gelegentlich in ärztliche Behandlung. Im Februar 2001 übernahm ihr Mann den Laden im Wedding, und die ganze Familie zog nach Berlin. In diesem Zusammenhang veranlasste Herr Khan-Bui-Van die AOK Brandenburg, seine Versicherungsakte zur Berliner AOK-Niederlassung in die Müllerstraße zu schicken – das mache „null problemo“, hatte man ihm zuvor versichert. Wenig später bekam er jedoch einen Brief von der AOK Wedding, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass es leider unmöglich sei, Frau Bu-Thei-Kim und die Kinder in seine Familienversicherung aufzunehmen. In einem Gespräch begründete der Sachbearbeiter Herr Kleinod dies damit, dass Frau Bu-Thei-Kim eine über sechs Monate hinausgehende Aufenthaltsgenehmigung benötige, um bei der AOK familienversichert zu sein. Im Übrigen gab man den unwissenden Ostmitarbeitern in der Brandenburger AOK-Niederlassung die Schuld, dass dies zuvor übersehen worden war. Dort war sie bis zu ihrer Heirat sogar alleine bei der AOK versichert gewesen – obwohl sie damals sogar nur eine Aufenthaltsduldung hatte. Herr Khan-Bui-Van nahm den Weddinger Bescheid nicht hin, er beschwerte sich. Aber schon bald ließen sich alle AOK-Mitarbeiter bis hin zum Niederlassungsleiter am Telefon verleugnen. „Ich bin sehr böse mit der AOK Berlin“, sagt er, „denn meine Frau und das Baby waren sehr krank und mussten im September in die Charité, wir waren aber zu der Zeit nicht mehr krankenversichert, sodass ich nun über 2.500 Euro aus eigener Tasche zahlen muss“. Danach gab ein Freund ihm den Rat, es einfach bei einer anderen Versicherung zu versuchen. Er wandte sich an die BKK, die dann auch tatsächlich mit ihm – ohne Probleme – eine Familienversicherung abschloss.

Jetzt erzählt Herr Khan-Bui-Van aber noch immer gerne seinen Gästen von diesem seinem Versicherungskampf. Sein „Thai-Asia-Bistro“ ist nämlich inzwischen ein wichtiger Treffpunkt für Versicherungsgeschädigte und -beleidigte aller Art geworden. So erzählte dort zum Beispiel ein Herr Krause von nebenan, er habe 1995 eine Hausratsversicherung abgeschlossen, die mit einer Glasversicherung verbunden war. Dafür zahlte er über 400 Mark im Jahr an Beiträgen. Im Winter 2000 knallte ihm beim Lüften durch ein Windzug die Wohnzimmertür zu – und dabei ging die geriffelte Glasscheibe der Tür zu Bruch. Kurz zuvor war ihm bereits an seinem Schrank ein Kristallglasspiegel kaputt gegangen. Seine Freundin riet ihm, der Versicherung zu sagen, dies sei beim Staubsaugen passiert, und im Übrigen solle er beide Schadensfälle zusammen anmelden. Nach Rücksprache mit seiner Versicherung bestellte er einen Glaser. Nachdem dieser die Versicherungspolice durchgelesen hatte, reparierte er den Schaden – für rund 900 Mark. Er hatte jedoch übersehen, dass die Versicherung nur für Normalglas aufkam. Sie weigerte sich dann auch zu zahlen. Herr Krause nahm sich einen Anwalt, der sich zunächst wegen der Wohnzimmertür an den Hausbesitzer wandte – jedoch vergeblich. Gleichzeitig klagte der Glaser sein Geld bei Herrn Krause ein, wobei die Schadenssumme immer höher wurde. Herr Krause wiederum zerstritt sich mit seiner Freundin, weil die ihm den schlechten Rat mit dem Kristallglasspiegel gegeben hatte. Nach mehreren Prozesstermin-Verschiebungen unterbreitete die Versicherung ihm nun kürzlich einen Kompromissvorschlag: Er solle seine Police auf zehn weitere Jahre binden und sie würde dafür 50 Prozent der Schadenssumme übernehmen. So geschah es auch.

Eine junge ukrainische Frau, Olga, erzählte neulich im „Thai-Asia-Bistro“, sie habe 1997 in Deutschland ihren Führerschein gemacht und sich gleich einen Mazda für 8.000 Mark gekauft: „Als Ausländerin hatte ich jedoch große Schwierigkeiten, eine günstige Versicherung zu finden – nur die Allianz nahm mich: für 240 Prozent, d. h. für 550 Mark monatlich, Teilkasko. Die zahlte ich auch drei Monate lang brav. Bis ein Bekannter mir sagte, sein Freund Ralph habe eine Allianz-Niederlassung in Marzahn – und würde mich für 120 Prozent versichern. Das habe ich dann auch gemacht. Ralph wollte mir die Police nach Hause schicken, sie kam aber nicht. Und mit der Zeit vergaß ich es – bis ich Anfang 1998 einen Unfall hatte, wobei an drei Autos und an meinem eigenen ein Schaden von insgesamt 24.000 Mark entstand. Ich konnte zwar nichts dafür, aber der Schuldige hatte Fahrerflucht begangen – und deswegen riet mir die Polizei, mich mit meiner Versicherung in Verbindung zu setzen. Ich rief in Ralphs Allianzbüro an: ‚Kein Anschluss unter dieser Nummer‘! Schon in Panik rief ich meinen Bekannten an. Der versprach mir, sich zu kümmern. Bereits am nächsten Tag teilte er mir mit: Falls Ralph sich bei mir melden würde, um Beiträge zu kassieren, sollte ich nicht reagieren. Er hätte bei seinen ganzen Kunden abkassiert und sei dann untergetaucht, auch der Allianzkonzern suche nach ihm. Mein Bekannter hatte ein schlechtes Gewissen und besorgte mir einen guten Anwalt. Der schaffte es, mit seinen Briefen an die Versicherung, dass sie 20.000 Mark übernahm. Auch die letzten 4.000 Mark wollte mir der Anwalt noch ersparen, aber weil ich ihn nicht bezahlte, legte er irgendwann sein Mandat nieder, sodass ich dann doch die Restsumme zahlen musste – in Raten von monatlich 200 Mark, an die Allianz. Ich rührte mich aber nicht – und die Versicherung hörte auch irgendwann auf, mich zu belästigen. Mein Auto, das so gut wie Schrott war, wurde irgendwann von der Stadt versteigert.“

Nicht von schlechten Eltern war auch die Versicherungsgeschichte von Zoran. Einst war er als Gastarbeiter hierher gekommen, aber dann Künstler geworden. Er gehörte mit zu den Ersten, die in die neue Künstlersozialversicherung KSK eintraten. Alles lief gut – bis zur Wende, als zum einen hunderte und tausende von abgewickelten Ostlern sich in der KSK pflichtversicherten und zum anderen die Förderungsgelder für Künstler immer mehr zusammengestrichen wurden. Ab Mitte der Neunzigerjahre bemühte sich die KSK, alle unsicheren Kunst-Kantonisten in ihrer Kartei wieder loszuwerden. Das erste Mal verlor Zoran 1999 seinen Versicherungsschutz, weil er immer wieder den monatlichen Beitrag von 150 Mark schuldig geblieben war. Das zweite Mal schmissen sie ihn aus der KSK, weil er sich „unkooperativ“ verhalten hatte, d. h., er hatte zwar immer pünktlich gezahlt, jedoch die ganzen Formbriefe nicht oder nur halbherzig beantwortet. Jetzt kämpft er bereits seit einem Jahr darum, dass man ihn wieder genädig in diese Pflichtversicherung aufnimmt.

Im „Thai-Asia-Bistro“ hält sich mittlerweile ein eigener Versicherungsspezialist auf: Eberhard. Er hat seine Anwaltslizenz verloren oder niedergelegt und sitzt nun täglich dort, um die Gäste bei ihren Versicherungsproblemen juristisch zu beraten.

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