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Lose Enden, wenige Knoten

Die renommierten „Mainzer Tage der Fernsehkritik“ erforschten zwei Tage lang die Auswirkungen der Anschläge vom 11. September auf die Medienlandschaft. Leider mit angezogener Handbremse

aus Mainz STEFAN REINECKE

Seit dem 11. September ist alles anders. Das Pathos dieses Satzes ist ausgeblichen. Wer ihn benutzt, tut das seit längerem nur noch, um ihn in Anführungszeichen zu setzen. Für die „Mainzer Tage der Fernsehkritik“ scheint das nicht zu gelten. Sie verlegten eigens ihren Termin vom Mai in den Februar, gewissermaßen eine intellektuelle Fortsetzung des Ausnahmezustands: Wenn alles anders ist, kann auch in Mainz nichts bleiben, wie es war. Das war keine gute Idee.

Der Soziologe Karl Otto Hondrich gab den gemütlichen Grundton vor: Die Medien übertreiben notwendigerweise, sie sind alarmistisch, weil für sie nur das Aktuelle wichtig ist und weil sie, als Frühwarnsystem, nur schlechte Nachrichten verbreiten. Das aber, so Hondrich, ist kein Grund zur Beunruhigung, denn das katastrophengewohnte Publikum kennt diesen medialen Defekt und trennt früher oder später Gerede und Schrecken. Also alles nicht so schlimm, der Kreislauf von trial and error wird’s am Ende schon richten. Der Kritiker hat in dieser Rhetorik der Abklärung keinen rechten Platz mehr – er nimmt im Ohrensessel Platz, die Fernbedienung in die Hand und betrachtet die irgendwie naturwüchsigen Lernprozesse der Mediengesellschaft.

Die Selbstabdankung des Kritikers

In Hondrichs Beschreibung kippt die Selbsterkenntnis, dass Horizont und Möglichkeit des intellektuellen Beobachters der Gesellschaft eng sind, ins Gemütliche, die Mäßigung wird maßlos. Vor allem aber sind solche Großraumanalysen, zumal wenn sie das gute Ende stets vor Augen haben, blind für das Konkrete. Was hat sich verändert? Waren die Medien zu brav? Vertrauen wir dem Fernsehen mehr, weil wir ja live dabei waren? Oder wissen wir längst, dass die Bedrohung übertrieben war?

Diese Lücke sollte Medienprofessor Dietrich Leder füllen, der nachzeichnete, was das deutsche TV am 11. September wann zeigte. Das Medium schien zu kollabieren. Ratlose Experten äußerten abwegigste Meinungen. Sprachlose Korrespondenten in den USA wussten auch nicht mehr als wir: Sie schauten ja auf die gleichen CNN-Bilder wie wir. Die gewohnte Informationshierarchie zerbrach. Im Moment der Katastrophe, so Leder, schrumpfte die Entfernung zwischen Bilderproduzenten und -konsumenten. Der 11. 9. erschütterte unser Grundvertrauen in das TV: nämlich dass wir, die Zuschauer, etwas aus der Ferne sehen, etwas, das uns nicht direkt betrifft.

Doch Leders Blickwinkel blieb beschränkt: zu viel Beschreibung, zu wenig Analyse. Eine Leerstelle, spiegelverkehrt zu Hondrichs Text. Wo dem Soziologen das Bild zum Begriff fehlt, mangelt es dem TV-Kritiker am Begriff für das Bild. Das ist keine deformation profesionelle, eher eine Frage des Abstands. Vielleicht ist es derzeit nicht möglich, den Blick scharf auf den 11. 9. zu fokussieren. Der Schock ist noch nicht verschwunden, aber irgendwie, um es so genau wie möglich zu sagen, ist die Katastrophe Partytalk und Imperfekt geworden. In weiter Ferne, so nah – für Analysen offenbar keine günstige Entfernung.

So steht noch aus, was Leder und der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann in einem hellsichtigen Text über die Faszination des Bösen andeuteten: die Entzifferung der Bilder vom 11. September. Deren Ikone wurde das Flugzeug, das im WTC einschlägt. Diese Karriere ist nicht selbstverständlich – politisch gravierender war der Angriff auf das Pentagon. Doch die Bilder aus New York konnten wir ad hoc in die Angstlustszenarien des Kinos übersetzen. Die WTC-Bilder mobilisierten eine Art zivilisatorische Panik: Sie erschütterten unseren Glauben an Technik, an Flugzeug und Skyscraper, die wie kaum anderes die Moderne symbolisieren. Die WTC-Bilder schienen zu dementieren, dass wir die Kräfte, die wir entfesselt haben und alltäglich nutzen, auch beherrschen. Daher rührte der Schock: Wie in einem Horrorfilm verwandelte sich das Vertraute sekundenschnell in das terroristische Böse. Deshalb mussten wir uns diesen Crash immer und immer wieder anschauen: zuerst um zu verstehen, dass dieses Bild wirklich ist, dann um uns an diese Erkenntnis zu gewöhnen. Die gängige Medienkritik, dass die WTC-Endlosschleife im Fernsehen Hysterie beförderte, war ein Irrtum. Es ging eher um ein klassisches Verarbeitungsmodell – wiederholen, um zu vergessen.

Eher vereinzelt blieb in Mainz die politische Kritik, dass die Liberalität schwinde und die mediale Landschaft gleichförmig geworden sei. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung beklagte die „neue Distanzlosigkeit der Medien zur Politik“` und lobte FAZ-Redakteur Patrick Bahners, weil dessen Feuilleton mit den Texten von Susan Sontag und Arundhati Roy das enge Meinungsspektrum aufgerissen habe. Die Angststarre, die Furcht, das Falsche zu sagen, die im September regierte, ist offenbar verschwunden – Kunststück, wenn sogar Minister Fischer die USA kritisiert, mag man hinzufügen.

Der anrührendste Augenblick hatte am Rande mit dem Thema zu tun. Wolfgang Schäuble beschrieb genau, souverän, ohne Hauch von Vorwurf oder Selbstmitleid, seine Angst vor einem Foto: wie er die steile Rampe in Bonn zum Bundestag herunterrollt und stürzt. „Dieses Bild“, sagt er, „wäre ich nie mehr losgeworden.“ Das ist mehr als eine Anekdote: Es legt den Blick auf die unsichtbaren Korsettstangen frei, die wir, Publikum und Medien, den Politikern anlegen.

Machtnah und konfliktscheu

Es gab viel lose Enden in Mainz und wenige Knoten. Vor zwei Jahren war das anders. Der Medienwissenschaftler Karl Prümm zeigte damals in einer detaillierten Analyse, wo TV-Berichte zum Kosovokrieg in die Nähe von Propaganda gerutscht waren. Es folgte jener Disput zwischen Kritiker und Machern, der wohl Sinn und Ziel medienkritischer Tagung ist. Doch Streit wollte man diesmal nur in überschaubaren Dosen – wohl auch eine Nachwirkung des 11. September.

Neben Schäuble erschien Minister Schily, der sich, trotz trickreicher Bemühung von Tagesspiegel-Chef Giovanni di Lorenzo und taz-Redakteurin Bettina Gaus, nur Bundespressekonferenz-erprobte Verlautbarungen entlocken ließ. So legten sich eine gewisse Machtnähe und Konfliktscheue wie Mehltau über das Ganze. Doch ohne Konflikt keine Dramaturgie, kein Thrill. Das gilt nicht nur im Kino, sondern auch für medienkritische Tagungen.

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