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Die neue Wacht am Rhein

Ein Beamter der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen jagt Neonazis in den USA und will deshalb die in seinem Bundesland ansässigen Provider dazu verpflichten, die Daten ihrer Kunden zu filtern

Das am Rhein lebenswichtige Datum des Karnevalsbeginns, der 11. 11., lag nur zwei Tage zurück, als sich letztes Jahr gut neunzig Vertreter von Firmen, die in Nordrhein-Westfalen Privatleuten den Zugang zum Internet vermitteln, im Amtssitz von Jürgen Büssow versammelten. Der Regierungsdirektor von Düsseldorf teilte ihnen mit, er werde in seinem Amtsbereich den freien Zugriff auf einige, seit langem bekannte Neonaziseiten auf ausländischen Servern nicht mehr dulden.

Ziemlich verdutzt nahmen die Provider den Alleingang zur Kenntnis. Büssows Vorschläge, wie der Zugriff unterbunden werden sollte, hielten sie entweder für technisch unzureichend oder für nicht vereinbar mit der Architektur des Internets. Zu der freiwilligen Übereinkunft, die Büssow ihnen anbot, kam es daher nicht. „Bei dieser Sachlage“, grollte der Regierungsdirektor nach der Sitzung, bleibt mir nichts anderes übrig, als von der gesetzlichen Ermächtigung des Mediendienste-Staatsvertrags Gebrauch zu machen.“

Nach dem Geschäftsverteilungsplan der nordrhein-westfälischen Landeregierung ist Jürgen Büssow tatsächlich für all die Dinge zuständig, die der so genannte Mediendienste-Staatsvertrag in Anlehnung an das Bundesgesetz für Informations- und Kommunikationsdienste regelt. Auch Landesbehörden können verlangen, dass Privatfirmen den Zugang zu Inhalten im Internet sperren, die dem deutschen Recht widersprechen. Ob und inwieweit diese Haftpflicht auch dann besteht, wenn die strafbaren Inhalte nicht auf den Maschinen der deutschen Firma gespeichert sind, ist noch immer nicht abschließend geklärt. Doch munter ins juristische Neuland aufbrechend, stellte Büssow für mindestens drei Adressen auf ausländischen Servern einen rechtswidrigen Zustand fest.

Was tun? Der Marktführer AOL sitzt in Hamburg und ist nicht betroffen, die Bonner Telekom-Tochter T-Online sah keinen Anlass, den Amtseifer des Lokalpolitikers zu kommentieren. Anders jedoch lokale und regionale Zugangsanbieter in Nordrhein-Westfalen. Sie fühlten sich auf der Anklagebank und einige von ihnen ließen sich tatsächlich auf die technischen Ideen des Regierungsdirektors ein – wenn auch nicht ganz in seinem Sinne. Der selbst ernannte EDV-Fachmann hatte ihnen vorgeschlagen, doch einfach die entsprechenden Einträge auf dem Domain-Name-Server der Firma abzuändern. Wohin denn aber die Abrufe umgelenkt werden sollten, hatte Büssow nicht gesagt – und so kam es vor, dass rechtsradikale Surfer, die sich bei Garry Lauk oder „Stormfront“ ideologisch nachrüsten wollten, auf der Homepage des Düsseldorfer Regierungdirektors landeten.

So richtig fröhlich scheint Büssow darüber nicht geworden zu sein. Am 8. Februar, mitten in der heißen Karnevalsvorfreude, gab er es den nordrhein-westfälischen Providern schriftlich. Da weder seine eigene „tatsächliche“ Weisung noch die „gleiche Bemühung“ der „gemeinsamen Stelle der Jugendschutzministerien“ Erfolg zeitigte, heißt es in dem 12-seitigen Text, gebe die Landesregierung den angeschriebenen Firmen nunmehr im Rahmen eines ordnungsrechtlichen Verfahrens auf, den Zugang zu drei sattsam bekannten Neonaziadressen zu sperren.

Binnen vier Wochen haben die Firmen Stellung zu nehmen. Wenig Kopfzerbrechen wird ihnen der unstrittige, in den USA aber nicht strafbare Tatbestand der Volksverhetzung machen, den Büssow den Naziseiten nachweist. Die angeordneten technischen Maßnahmen jedoch könnten eine neue Welle der Netzzensur in Deutschland einleiten. Unbekümmert um alle Diskussionen über Medienkompetenz und Computerunterricht an den Schulen, setzt Büssow zunächst schlicht auf die Unkenntnis der Surfer. „Einfachste Bedienungskenntnisse“ hätten dem Internet ja gerade den Massenerfolg von heute eingebracht, argumentiert der Beamte, aus ebendiesem Grund genüge für den „durchschnittlichen Nutzer“ bereits eine Sperre im Domain-Name-Server des Providers.

Da aber auch die Landesregierung weiß, wie leicht diese Schranke zu umgehen ist (der Eintrag eines zusätzlichen Name-Servers in die Konfiguration des Netzzugangs genügt), verlangt die Verfügung von den Providern Eingriffe in den Datenfluss, die bisher als typisches Kennzeichen totalitärer Regime galten: „Die URL“, heißt es in dem Text, könnten auch durch den „Einsatz eines Proxys“ gesperrt werden. Damit werde der Zugriff auf eine „vordefinierte Seite“ umgeleitet, meint Büssow und setzt damit stillschweigend voraus, dass der Provider seine Kunden dazu zwingt, den bei ihm installierten Zwischenserver anzuwählen.

Zwar bieten die meisten Provider solche Dienste an, um den Zugriff auf häufig angeforderte Daten zu beschleunigen. Kein Gesetz Deutschlands erlaubt jedoch bisher, den freien Zugang zu Informationen auf diesem Wege zu beschränken – und Büssow versucht denn auch gar nicht erst, eine gesetzliche Grundlage dieser Maßnahme zu nennen. Offenbar setzt er auch hier auf die Ahnungslosigkeit des durchschnittlichen Internetnutzers, der vermutlich wirklich nicht in der Lage ist, eine solche Manipulation zu durchschauen und sich dagegen wirkungsvoll zur Wehr zu setzen.

Doch selbst das reicht dem Saubermann nicht: Als dritte zumutbare Maßnahme empfiehlt er die Löschung der numerischen Adressen aus den Routertabellen der Provider, die damit weniger die paar Webseiten von Neonazis, sondern eher sich selbst aus dem weltweiten Netz ausschlössen. Irgendeine Gegenwehr seitens der Kunden wäre in diesem Fall unmöglich.

Nun ist die Karnevalszeit aber auch am Rhein vorbei, und da kaum eine Providerfirma das Risiko eingehen wird, öffentlich als Zensor am Pranger zu stehen, besteht immerhin Hoffung, dass Jürgen Büssow vor Gericht über das im Rest Deutschlands geltende Recht auf Meinungfreiheit aufgeklärt wird. Eine Klage des Netzaktivisten Alvar Freude weger der Manipulation der Domain-Server liegt bereits vor.

VOLKER KÖNIG/TAZ

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