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In der Inbox wie der Fisch im Wasser

Türkische Maoisten im Geheimdienstauftrag lesen heimlich E-Mails der EU in der Türkei. Jetzt hat die EU das gemerkt

ISTANBUL taz ■ Die Verletzung des Postgeheimnisses der EU-Botschaft in Ankara hat zu schwerer Verstimmung zwischen Brüssel und der türkischen Regierung geführt. Am Mittwoch bestellte der EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen den türkischen EU-Botschafter Nihat Akyol ein, um eine förmliche Beschwerde vorzubringen. Am selben Tag legte der Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, in einem Telefonat mit Premier Bülent Ecevit nach.

Hintergrund ist die E-Mail-Kommunikation der EU-Vertreterin in Ankara, Karin Fogg, mit ihrer Behörde in Brüssel. Am Dienstag letzter Woche hatte die maoistische Splitterpartei Is-Partisi in ihrer Zeitung Aydinlik Mails gedruckt, die Fogg in den Wochen zuvor, nur leicht verschlüsselt, nach Brüssel geschickt hatte. Darin geht es um die Einschätzung einzelner türkischer Politiker, die Zypern-Verhandlungen, aber auch um Kontakte zu Menschenrechtsgruppen und Verlegern kurdischer Publikationen.

Der Chef von Aydinlik, Dogu Perincek, der vom Linksaußen zum strammen Nationalisten mutierte, behauptete, seine Zeitung hätte die E-Mails von einem Hacker zur Verfügung gestellt bekommen. Er forderte, die türkische Regierung solle Karin Fogg ausweisen, weil die E-Mails beweisen würden, dass die EU-Vertreterin sich an einer Konspiration gegen die Türkei beteilige. Er drohte, weitere Mails – die Zeitung habe rund 7.000 zugespielt bekommen – zu veröffentlichen, die das beweisen würden.

Mitte letzter Woche beschwerte Frau Fogg sich beim türkischen Außenministerium, weil gegen die Verletzung ihres Postgeheimnisses nichts unternommen würde. Erst daraufhin wurde die Staatsanwaltschaft aktiv und leitete Ermittlungen ein. Günter Verheugen sprach von einem kriminellen Akt, der schleunigst aufgeklärt werden müsse. Als offenbar nichts geschah, legte er förmlichen Protest ein.

In den meisten türkischen Medien wird offen darüber spekuliert, dass die E-Mails der Aydinlik nicht von einem privaten Hacker zugespielt wurden, sondern von Mitgliedern des türkischen Geheimdienstes. Schon seit Jahren benutzt eine Fraktion des Geheimdienstes die maoistische Aydinlik, um Informationen zu lancieren, die politische Gegner denunzieren sollen.

Neben dieser Connection spricht auch der Zeitpunkt des Angriffs auf Karin Fogg für die Vermutung, dass Gegner der türkischen EU-Beitrittsperspektive hinter der Attacke stecken. Bis Ende März sollen in der Türkei auf Druck der EU zwei entscheidende Gesetzesänderungen beschlossen werden: Abschaffung der Todesstrafe und Sprachfreiheit für die kurdische Minderheit in Medien und Schulen. Beide Forderungen stoßen auf den erbitterten Widerstand der türkischen Nationalisten, Teilen des Militärs und eben der Geheimdienste. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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